Das Maschinengewehr Gossips

Und hinter tausend Fragen eine Welt: Moritz von Uslar and Friends stellten den Interviewband „100 Fragen“ im Roten Salon vor – zum absoluten Höhepunkt ließ Christian Ulmen den Motörhead-Sänger Lemmy Kilmister über Hitler schwafeln

Der Gedanke klingt falsch – wie mit Microsoft Word geschrieben

VON ANDREAS MERKEL

After the rush has gone / I hope you find a little more time

(Spandau Ballet)

Moritz von Uslar, der „Titan“ (Dittsche) unter den Interviewern, ist auf dem besten Weg, selbst ein Popstar zu werden. Neben den üblichen Verdächtigen, Schriftstellerkollegen und Schauspielerinnen waren es vor allem Scharen von jungen Mädchen, die am Samstag den doppelt und dreifach ausverkauften Roten Salon der Volksbühne füllten und diesen Eindruck vermittelten. – Was war passiert?

Von Uslar, Jahrgang 1970, arbeitet seit 1992 für das Magazin der Süddeutschen Zeitung und begann bei seinen Interviews mit den Superstars und großen Persönlichkeiten dieser Erde irgendwann, aus der Not eine Tugend zu machen: 100 Fragen im Maschinengewehrstil herausgefeuert bitte so schnell wie möglich zu beantworten, „denn wir haben ja nicht ewig Zeit“, was meistens hieß: nicht mehr als 15 Minuten. Der Trick an der Sache: Nicht nur den üblichen Celebrity-Schwachsinn zu fragen („Echt wahr, dass Franz Beckenbauer Schwarze ‚Neger‘ nennt?“), sondern auch ein paar tiefsinnige Indiskretionen ganz locker aus der Hüfte zu schießen („Furchtbar schlechtes Gewissen oder normal schlechtes Gewissen?“).

Diese Interviews eines Medienjunkies mit Leuten wie Mick Jagger, Heidi Klum, Peter Stein, Harald Schmidt, Hillary Clinton oder Udo Lindenberg wurden zu Sternstunden des Gossip-Journalismus, deren Lektüregehalt weit über diesen hinausreicht. Die Interviews erschienen jetzt noch einmal als Buch (Moritz von Uslar: „100 Fragen“, KiWi, 12,90 €), in dem man sich sofort wieder festliest, obwohl man alle Texte bereits kennt. Zur Buchpremiere lasen neben Moritz von Uslar als Moritz von Uslar himself seine Autorenkollegen Peter Richter und Maxim Biller sowie die Schauspieler Sibel Kekili und Christian Ulmen mit verteilten Rollen aus dem Werk vor.

Peter Richter („Blühende Landschaften“) las die Voice-off-Texte der Interviews mit gelockerter weißer Krawatte und schwungvoller Radiomoderatoren-Stimme: „Clooney: PR-Profi, super Superstar. Man stellt ihn sich locker, leider auch ein bisschen langweilig vor.“

Maxim Biller („Esra“) gab ganz zurückgenommen und mit in sich selbst versunkener Lässigkeit ebendiesen George Clooney, der von Uslar seinerzeit mit wie auf Autopilot gestellter Smartness antwortete.

Sibel Kekili („Gegen die Wand“) bemühte sich redlich, dem ganz speziellen Charme Angela Merkels gerecht zu werden (Wie stellen Sie sich Gott vor? – „Abstrakt.“).

Den absoluten Höhepunkt bildete jedoch die Mischung aus whiskeyseligem Selbstverständnis und opahafter Verpeiltheit, mit der Christian Ulmen („Herr Lehmann“) den Motörhead-Sänger Lemmy Kilmister über sein Verhältnis zu Hitler vor sich hinschwafeln ließ.

„Hasslieben Sie Hitler? Oder ist es einfache, pure, ungetrübte Liebe?

Hätte ich ihn getroffen, ich weiß es gar nicht, ich hätte mich wohl unfassbar gelangweilt. Er war sehr langweilig. Er saß da und hielt stundenlange Monologe. Seine Visionen – oje. Sein Nest in den Bergen muss der deprimierendste Ort auf Erden gewesen sein. […]

Das wertvollste Stück in Ihrer Nazi-Andenkensammlung?

Ein Hakenkreuz-Silberbesteck, Hakenkreuz-Leinenservietten, die Originalfahnen von Hitlers Leibstandarte, Helme, Totenköpfe, Dolche aus Damaszener Stahl. Preise richten sich danach, ob Hitler das Zeug persönlich in der Hand hatte – was für ein Quatsch. Ich komme kaum noch in meine Wohnung rein, ohne über Nazikrempel zu stolpern.

Mal mit einem SS-Dolch am Gürtel eine Hochzeit besucht?

Was für ein Typ sind Sie? Nein, das würde ich nie tun. Aber auf einer Kostümparty in Hollywood bin ich in voller SS-Uniform aufgetreten.“

Trotz begeisterter Lacher im Publikum war nach dieser bravourösen Performance Schluss. In bescheidener Pose und aller Kürze bedankte sich Moritz von Uslar bei allen Beteiligten, verbat sich damit gleichzeitig geschickt alle Fragen, die wiederum ihm hätten gestellt werden können.

Denn Moritz von Uslar ist nicht nur ein begnadeter Interviewer, sondern tritt zunehmend auch als Autor in Erscheinung. Neben ein paar Dramen und einem Drehbuch über Andreas Baader als Popstar gewann er kürzlich mit der Short Story „Ein freier Abend“ den Montblanc-Literaturpreis. In dieser Geschichte geht es um ein Berliner Mitte-Paar, das sich einen Babysitter nimmt, um mal wieder ins Kino und anschließend schön essen gehen zu können, wo sie ihm dann die Trennung vorschlägt. Dem Autor (behaupte ich jetzt einfach mal) gelang es dabei vor allem mit einem Satz, den vom Edelfüllfeder-Hersteller ausgelobten Preis zu gewinnen: Von Uslar lässt den Erzähler irgendwann daran verzweifeln, dass alle seine Gedanken nur noch falsch klingen, wie von Fernsehmoderatorinnen aufgesagt oder – eben – wie mit Microsoft Word geschrieben.

Man ist gespannt, wie es mit ihm weitergeht, after the rush has gone.