Über dem Wasser, unter der Welt

Astrid Griesbachs Theater des Lachens bringt im Skulpturengarten der Neuen Nationalgalerie zwei Gestalten auf die Bühne, die außer ihrer Herkunft aus der skandinavischen Sagenwelt wenig zu verbinden scheint: Hans Christian Andersens kleine Meerjungfrau und Shakespeares Hamlet

Blubb. Noch einmal tief Luft holen, wir tauchen ab, ein paar kräftige Schwimmstöße und das Meer schwappt über uns zusammen. Die Wasseroberfläche ist schnell wieder glatt und unbewegt: Von oben ist schon nichts mehr zu sehen von der Unterwasserwelt der Nixenschwestern hier unten. Sphärische Klänge und das Glitzern des Vollmonds in den Teichen. Das letzte Licht des Abends bricht sich auf dem Wasser, und die jüngste der vier Meerjungfrauen bekommt auf alle ihre Fragen nur den Refrain ihrer Schwestern zur Antwort: „Wenn du dein fünfzehntes Jahr erreicht hast!“ Die Unterwasserwelt schillert und funkelt, die Meerjungfrauen drehen und winden sich in ihren türkisfarbenen Strickschläuchen, so dass man glaubt, sie mit dem Fischschwanz schlagen zu sehen.

Die Welt über Wasser ist von hier unten, aus dem Skulpturengarten der Neuen Nationalgalerie herauf, nicht zu sehen. Nur einmal, da steht der melancholische dänische Prinz oben an der Küste und lässt Worte ins Wasser plumpsen, die William Shakespeare für ihn geschrieben hat: „Ich bin so müde auf den Tod, ich möchte gehen.“ Die kleine Meerjungfrau Undine sammelt diese Worte ein und wartet sehnsüchtig auf ihren fünfzehnten Geburtstag, an dem sie endlich hinauftauchen darf in die Welt des melancholischen Menschenprinzen.

Als es soweit ist und sie ihre wunderbare Stimme der Meerhexe opfert, um mit zwei Beinen an Land gehen zu dürfen, da begleiten wir sie in diese fremde Welt. Wir tauchen auf aus dem fantastischen Unterwasserreich und werden von den Nixenschwestern in das Reich des dänischen Prinzen begleitet, das eine Ebene höher hinter der Nationalgalerie mit ihren blaurotgelb beleuchteten Kanten liegt. Der Prinz, den die kleine Undine unter Wasser zu lieben begonnen hat, ist wie wir verzaubert von diesem feuchten, tropfenden Wesen, das da sprachlos um ihn herumflitzt und mit seinen neu erworbenen Beinen zappelt.

Mit dem Projekt UndineHamlet bringen das Theater des Lachens und seine Regisseurin Astrid Griesbach zwei Gestalten zusammen auf die Bühne, die außer ihrer Herkunft aus der skandinavischen Sagenwelt nichts miteinander zu verbinden scheint: Die kleine Meerjungfrau aus dem Kunstmärchen von Hans Christian Andersen und Shakespeares Hamlet. In einem sommerbunten, luftigen und plätschernden Spektakel rund um die Neue Nationalgalerie trifft Hamlet (Ralf Bockholdt) auf Undine (Minouche Petrusch), die aus Liebe zu ihm ihre Unterwasserwelt verlassen hat und in der er seine Liebe Ophelia erkennt: „Du bist wohl auch nicht ganz von dieser Welt!“ Erstaunlich, wie gut diese gewagt erscheinende Rechnung aufgeht: Die Montage der beiden Stoffe und Texte macht den Blick hinter die Kulissen frei und enthüllt zwei Außenseiterperspektiven, die sich gegenseitig beleuchten.

Die sprachlose und trotzdem ausdrucksvolle Undine einerseits und der redegewandte, viel zitierte Hamlet andererseits, dem die Worte allmählich auszugehen scheinen. Beide, der Prinz am dänischen Hof und Undine in der Welt der Menschen, können nur bestehen, wenn sie ihr eigentliches Wesen verleugnen – während die Meerjungfrau jeden Schritt mit Schmerzen bezahlen muss, spielt der Prinz am Hof seines Onkels den Wahnsinnigen, um diesen des Mordes überführen zu können. Beider Liebe bleibt unerfüllt, und bei beiden endet die Verstellung mit dem Tod: „O schmölze doch dies allzu feste Fleisch und löst’ in einen Tau sich auf!“, darf Hamlet immer wieder seufzen.

Dass der ungezwungene Umgang mit literarischen Vorlagen funktioniert, ohne dass dabei die Tiefe verloren ginge; dass es die Vorlagen ganz gut verkraften, dass man sie so lange hin und her dreht, bis man ihnen immer wieder neue, nie geahnte Perspektiven einschreiben kann; dass dieser ganze Abend so bunt und schillernd ist – das alles spricht für das Konzept von Astrid Griesbach, die sich mit ihrem Theater des Lachens ganz bewusst in die Tradition des Narrentheaters stellt. Es spricht aber auch für den verzauberten Schauplatz im Skulpturengarten, dessen Wasserwelt wir am Schluss nur widerwillig gegen die städtische Kulisse des farbig beleuchteten Potsdamer Platzes eintauschen. ANNE KRAUME

Bis 20. 7., 21.30 Uhr, Neue Nationalgalerie, Potsdamer Str. 50, Tiergarten