Blühende Listen Europas

Am 13. Juni wählt Europa. Und wundert sich anschließend, wer so alles im Parlament sitzt. Die taz blickt vorab auf die Kandidaten und Parteien der einzelnen Länder. Heute: Belgien und Österreich

Dass am 13. Juni gewählt wird, ist in Brüssel nicht zu übersehen. In fast allen Läden und vielen privaten Fenstern werden die Lieblingskandidaten plakatiert, darunter viele schwarzafrikanische und arabische Bewerber – ein bunter Beleg für die gelungene belgische Integrationspolitik. Allerdings geht es dabei gar nicht um Europa, sondern um die Regionalwahl am gleichen Tag.

Plakate für die Europawahl sucht man vergebens. Schließlich geht es dabei nur um 24 Sitze, um die sich ein Dutzend Parteien bewerben. Im Wahlkreis Wallonie treten nur die Frankophonen an, in Flandern die flämischen Parteien, lediglich in Brüssel sind alle Listen Belgiens vertreten. Wer das merkwürdig findet, kann sich damit trösten, dass nach der Wahl im Europaparlament Belgiens politische Wiedervereinigung stattfindet: Die Vertreter der Christeljike Volkspartij und der Parti social-chretien sitzen dann Seit an Seit in der voraussichtlich größten Fraktion, der EVP – sie wird vielleicht vier Mandate ergattern.

Die prominenten Spitzenkandidaten fungieren nur als Stimmenfänger – weder Premier Verhofstadt von den flämischen Liberalen noch Außenminister Louis Michel, sein Gegenpart bei den wallonischen Freidemokraten, denken ernsthaft darüber nach, ihren derzeitigen Job aufzugeben. Verhofstadt hat zwar europäische Ambitionen – er möchte sie aber dort ausleben, wo in Brüssel das eigentliche Machtzentrum liegt: in der Europäischen Kommission. Derzeit werden ihm unter allen Kandidaten die größten Chancen gegeben, Romano Prodi als Kommissionschef zu beerben. Die Wähler würden auch diesen neuerlichen Rollenwechsel klaglos mitmachen. Verwirrende Machtspiele sind sie gewohnt.

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

Man kann der Plattform „Linke. Opposition für ein solidarisches Europa“ einen gewissen Sinn für Humor nicht absprechen. Auf ihrer Liste der 18 österreichischen Mandate im EU-Parlament findet sich an der wenig aussichtsreichen 20. Stelle der Schauspieler Hubert „Hubsi“ Kramar, der Bekanntheit erlangte, als er vor einigen Jahren als Adolf Hitler verkleidet Eintritt zum Opernball begehrte. Spitzenkandidat ist der 58-jährige Journalist und Sozialethnologe Leo Gabriel, der vor 24 Jahren in Managua eine alternative Presseagentur gründete und lange Zeit aus Zentralamerika auch für die taz schrieb. Er ist in Österreich eine der Schlüsselfiguren der Sozialforumsbewegung.

Die Plattform ist Gründungsmitglied der vor wenigen Wochen in Rom aus der Taufe gehobenen Europäischen Linken. Ihr gehört neben mehreren kleinen unabhängigen Gruppen und einem Ableger der IV. Internationale auch die inzwischen vom Stalinismus geläuterte KPÖ an.

Die Plattform kritisiert das Aufrüstungsprogramm der EU und ist – was auch innerhalb der Linken eine umstrittene Position ist – gegen die EU-Verfassung. Für Gabriel ist der Entwurf „eine Art Etikettenschwindel“. Er hält ihn für asozial, undemokratisch und fremdenfeindlich. Außerdem bereite er die Aufrüstung vor. Als Gegenkonzept schwebt ihm eine Verfassung der aktiven Solidarität vor, die in die Konflikte der Welt nicht militärisch, sondern vermittelnd eingreift.

Mit der Publizität, die der Aufdecker Hans-Peter Martin mit seiner Anti-Spesen-Kampagne erreicht, kann es die Linke nicht aufnehmen. Er liegt in den Umfragen Kopf an Kopf mit den Grünen und deutlich vor der FPÖ.

AUS WIEN RALF LEONHARD