„Wir wollen uns selbst regieren“

Irakerinnen diskutierten auf einer Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin über Wiederaufbau, Regierungsbildung, Sicherheit und Frauenquoten. Die kurdische Wiederaufbau-Ministerin fürchtet um das bereits Erreichte im Nordirak

aus Berlin UTE SCHEUB

„Wir Kurden werden jetzt zum Opfer unseres Erfolges“, beschwerte sich die Ministerin. Nasreen Mustafa Sideek, seit vier Jahren Mitglied der Regionalregierung im kurdischen Nordirak, war eine der Hauptrednerinnen auf einer zweitägigen Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung zur Beteiligung von Frauen am Wiederaufbau im Irak. Der Provinz zustehende Gelder würden blockiert, so war zu hören. Nicht einmal die Gehälter der Peschmergas, die an der Seite der US-Soldaten gekämpft hatten, seien bezahlt worden.

Dabei hatte die Ministerin für Wiederaufbau und Entwicklung kurz zuvor noch eine ansehnliche Erfolgsbilanz vorgelegt. In zwölf Jahren faktischer Autonomie hätten sie „unter extrem schwierigen Umständen“ einen demokratischen Neuanfang gewagt. In Kurdistan gebe es jetzt Sicherheit, Wasser und Nahrung, rund 700.000 Flüchtlinge seien wieder angesiedelt worden, die Analphabeten- und die Sterblichkeitsraten seien gesenkt worden. Mehr als 40 Parteien, 30 Sender und 167 Zeitungen seien gegründet worden. Es gebe drei Ministerinnen und acht Parlamentarierinnen, 60 Prozent ihres eigenen Mitarbeiterstabs sei weiblich.

25 Frauen-NGOs hätten sich zusammengeschlossen und das Parlament überzeugt, dass „Ehrenmorde“ nicht weiter straflos bleiben dürften. Unter Saddam Hussein war 1999 nämlich die traditionelle Unsitte legalisiert worden, wonach Frauen, die die „Ehre“ ihrer Familie befleckt hätten, von ihren männlichen Angehörigen umgebracht werden dürfen. Der kleine Gefühlsausbruch der Ministerin machte deutlich, wie tief die Frustration über das Benehmen der US-Besatzer selbst bei früheren Kriegsbefürworterinnen sitzt. „Jetzt geht es nur noch rückwärts“, befand Shanaz Ibrahim Ahmad, Direktorin des Kurdistan Kinderfonds in London. Alle acht auf dem Podium sitzenden Irakerinnen waren sich einig, dass so schnell wie möglich eine irakische Übergangsregierung eingesetzt werden sollte.

„Wir brauchen irakische Minister mit US-Beratern und nicht umgekehrt“, monierte Rend Rahim Francke, Direktorin der in Washington und nun auch in Bagdad und Basra ansässigen „Irak-Stiftung“, ebenfalls eine frühere Kriegsunterstützerin. Dass die US-Administration das nicht erlaube, habe die Lage gefährlich destabilisiert: „Derzeit gibt es nur zwei Lager, die organisieren und mobilisieren können, das sind die Baathisten und die Islamisten. Die große Breite der irakischen Gesellschaft ist vollständig entmachtet.“

Die Direktorin der Irak-Stiftung bekannte, dass Frauenbelange eigentlich nicht ihr Schwerpunkt seien. Doch offenbar hat sie die Lage in ihrem Land in eine glühende Feministin verwandelt: „Am 15. April war ich ich Bagdad bei einem Treffen von 70 irakischen Führern, darunter vier Frauen. Zurück in Washington kritisierte ich die dafür Zuständigen, ein Frauenanteil von weniger als fünf Prozent sei lächerlich, sie sollten es das nächste Mal besser machen. Am 29. April war ich wieder bei einem Treffen in Bagdad. Diesmal waren unter den 350 Eingeladenen drei Frauen.“

Francke wies darauf hin, dass die Irakerinnen seit den Vierzigerjahren im öffentlichen Leben präsent waren, als Ärztinnen, Professorinnen oder Ingenieurinnen: „Wir haben ein enormes Potenzial.“ Doch der jahrzehntelange Kriegszustand habe sich „am meisten gegen die Frauen gerichtet. Sie trugen als Witwen und Fürsorgende der Familien die enormen sozialen Kosten“.

Bereits in den Achtzigerjahren hätten die Baathisten in den Schulen „Fruchtbarkeitsdrogen“ verteilt, um „Saddams Militärmaschine“ mit noch mehr Kindern füttern zu können. Das sei ein bisher wenig bekannter Umstand, aber es gebe darüber Dokumente. Die Direktorin müsste es wissen, denn ihre Stiftung verfügt ähnlich wie die Gauck-Behörde über unzählige Papiere, die der irakische Geheimdienst hinterlassen hat.

„Wir wollen uns selbst regieren“, forderte auch Bayan Al-Aaraji, Mitverfasserin der „Deklaration der Schiiten im Irak“. Auf dem Podium war sie die Einzige, die ein Kopftuch trug, und die Einzige, die glaubte, dass eine zukünftige irakische Verfassung „auf einigen Elementen der Scharia beruhen sollte“. Alle anderen sprachen sich für eine deutliche Trennung zwischen Staat und Religion aus. Aber auch die Schiitin distanzierte sich deutlich von islamistischen Gruppierungen: „Nach dem Islam darf keine Gewalt angewendet werden. Wir sind gegen die Männer, die Frauen zum Schleiertragen zwingen wollen. Die Frauen müssen das selbst entscheiden können.“

Einig waren sich die Diskutantinnen auch, dass die Frauen in der Übergangsregierung, in der Verfassungskommission und auf allen Ebenen des Wiederaufbaus beteiligt werden müssten. Ministerin Sideek befürwortete eine Quote von „mindestens 30 Prozent“. Und Direktorin Francke schlug vor, über eine „Bill of Rights for Women“ nachzudenken, die an die Verfassung angehängt werde.

Das sei kein „westernism“, ergänzte Rakiah al-Kayssi von der irakischen Juristenvereinigung. Schließlich hätten die Frauen „schon unter den Babyloniern und Assyrern hohe Posten“ inne gehabt.