Durch den Feldstecher

Tanja Dückers Roman „Spielzone“ wird Theater

Ein Haus in der Kopenhagener Straße: Hier kreuzen sich unsere Wege als Leser von Tanja Dückers Roman „Spielzone“ mit denen von Ada, die auf der Suche nach sich selbst durch ihre Tage taumelt, Partys feiert und Minzbonbons lutscht. Und mit denen von Rosemarie Minzlin, die mit Hilfe ihres verstorbenen Gatten Gerd bei zahlreichen Preisausschreiben Schokokekse und Unterwäsche gewinnt. Wenn wir dem merkwürdigen Paul begegnen, dann träumt er ganz sicher wieder davon, mit seiner Freundin Karin zu verschmelzen, weshalb er sich beharrlich Kar-aul nennt. Herr Lämmle beobachtet unterdessen das schillerndste Pärchen aus dem Kiez mit seinem Feldstecher beim Liebesspiel. Ein Haus in der Kopenhagener Straße, und wir sind mittendrin.

Mittendrin in der Spielzone: 1999 hat Tanja Dückers ihren Roman „Spielzone“ über die Bewohner eines Hauses in Prenzlauer Berg veröffentlicht. Jetzt spielt das Theaterprojekt textmarker in eben jenem Haus in der Kopenhagener Straße eine spannende und skurrile Theaterfassung dieses Romans, den Tanja Dückers selbst gemeinsam mit der Regisseurin Tina Küster für die Bühne bearbeitet hat.

Vier Schauspieler (Anna Görgen, Sylvia Habermann, Reiner Dunkl und Nico Ehl) teilen sich ungefähr zwölf Rollen, jeder bewegt sich zunächst in einem abgeschlossenen Zirkel, der dann durch kurze zufällige Begegnungen aufgebrochen wird: So feiert Ada eigentlich mit ihren bisexuellen Freunden Max und Moritz, leidet unter ihren verständnisvollen Eltern – aber auf einen kurzen Moment trifft sie im Treppenhaus eben auch Paul, oder besser Kar-aul, und seine Geschichte. Die Kreise überschneiden sich für Augenblicke, Figuren treffen sich und driften wieder auseinander. Man erzählt von sich selbst und von anderen, sodass jede Figur aus unterschiedlichen Perspektiven greifbar wird. In diesem Sprechen in der dritten Person scheint immer wieder die Romanvorlage hinter dem Theaterdialog hervor. Man gibt einander die Stichworte: „Ansonsten …“, sagt Ada und stockt. „Ansonsten nehme ich an Preisausschreiben teil“, greift die charmante Frau Minzlin den Erzählfaden auf.

Die Ausstatterin Claudia Philipp hat für dieses kunstvolle Verschlingen der Erzählfäden einen offenen Raum entworfen, in dem die Zuschauer auf einer geschwungenen Bank mitten im Zentrum des Geschehens unter Blumenampeln mit Kunstblumen sitzen. Videoprojektionen, die den realen Gang durch das Haus treppauf, treppab ersetzen, lassen diesen Raum abwechselnd schrumpfen und sich ausdehnen: Manchmal wird durch die Bilder die Abgeschlossenheit eines sehr privaten Wohnraums suggeriert, manchmal wird aber auch gerade diese Abgeschlossenheit konterkariert, indem scheinbar ziellose Bilder von den chaotischen Bewegungen der Stadt eingeblendet werden. Am Schluss haben wir nicht zuletzt deshalb das Gefühl, den Abend mit Blicken in ein buntes Kaleidoskop verbracht zu haben, bei dem durch eine kleine Drehung immer neue Bilder entstehen. Und eigentlich mögen wir uns von diesen Bildern noch gar nicht trennen. ANNE KRAUME

„Spielzone“ von Tanja Dückers bei textmarker, Kopenhagener Str. 16, 10437 Berlin, 14./15., 21. bis 23. Mai, 4./11./12./13./19./ 20. Juni, jeweils um 20 Uhr