Ganz konkret abgehoben

Der Architekt Andreas Wenning hat ein versetzbares Baumhaus entwickelt und damit seinen Kindheitstraum verwirklicht

“Andere Räume“ heißt ein Text von Michel Foucault, der einflussreich für den Raumdiskurs der letzten Jahrzehnte war. Dort ist die Rede von „Orten außerhalb aller Orte, wiewohl sie tatsächlich geortet werden können“. Gemeint sind beispielsweise Kinos, Museen oder Jahrmärkte: Alles ganz konkrete Orte, die aber doch Gegenpole oder Widerlager zum Alltagsraum darstellen.

Auch ein Baumhaus ist so ein Alltags-Gegenpol: So konkret sein Ort in einem real existierenden Baum ist, so – im Wortsinn – “abgehoben“ ist das Haus in der Baumeskrone. Ein Haus ohne Fundament, gleichwohl verwurzelt. Ein Kindheitstraum von Freiheit und Geborgensein.

Im niedersächsischen Groß-Henstedt bei Bassum hat der Bremer Architekt Andreas Wenning (37) seinen Baumhaus-Traum verwirklicht. Und wie immer, wenn sich ein Architekt ein Haus baut, will er damit etwas demonstrieren. In diesem Fall einerseits seine individuelle Gestaltungskraft, andererseits einen Prototypus.

Formal erinnert das Objekt in zehn Metern Höhe mit seiner dreieckigen, spitz zulaufenden Grundfläche an ein UFO, das sich bei der Landung in den Ästen verfing. Solchen technoiden Assoziationen widersprechen allerdings die handwerkliche Machart und das Material: witterungsbeständiges Lärchenholz. Bei genauerer Betrachtung stellt sich raus, dass das Haus nicht in den Baum eingebunden ist, sondern zwischen zwei mächtigen Buchen hängt: an Drahtseilen und Schwerlastgurten. Das sei die den Baum am besten schonende Methode, sagt Wenning. Denn der Respekt vor dem natürlichen Wirt ist oberstes Gebot. Der Architekt: „Jeder Baum ist naturgemäß ein Unikat und verlangt eine auf ihn zugeschnittene Gestaltung bezüglich Form, Größe und Tragkonstruktion.“

Im Fall des Wenningschen Baumkeils mit siebeneinhalb mal zweieinhalb Metern in den Ausmaßen reicht die Größe immerhin zu einer spartanischen, aber gemütlichen Kabine, in der man gut zu zweit nächtigen kann. Und zu einem Sonnendeck, von wo der Blick nach Süden, auf eine Pferdekoppel fällt. Überhaupt die Ausblicke! Auch die aus den Kabinenfenstern; vor allen der aus der Dachluke durch das Geäst in den Himmel lädt ein zum Träumen auf dem mit Wollfilz bespannten Liegeboden. Aber wie vernommen: Bei einem anderen Baum würde das Baumhaus anders aussehen - und auch bei einem anderen Bauherren.

Der Architekt hofft nämlich, mehr Menschen für eine solche luftige Datscha begeistern zu können. Man braucht nur einen stabilen Baum, die weitere Planung bietet der Architekt als Dienstleistung an. Bei aller individuellen Ausformung: Prototypisch bleibt die Methode einer weitgehenden Vorfertigung am Boden. Zur Endmontage benötigt man dann einen Autokran. Was auch heißt: Man kann ein solches Haus leicht an einen anderen Ort mit ähnlichen Eigenschaften versetzen. So könnte selbst dem flexiblen Menschen sein Baumhaus zum treuen Begleiter werden. Eberhard Syring