Spucke darf nicht wegbleiben

Das Bundesverfassungsgericht hat die Beschwerde eines Bochumer Studenten abgewiesen: Seine DNA im Speichel wird nun doch mit der des seit Jahren gesuchten Serienvergewaltigers verglichen

VON ANNIKA JOERES

Roman Boukes wird nun doch seine Spucke abgeben müssen: Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat seine Beschwerde gegen die Speichelprobe zur Fahndung nach einem Bochumer Massenvergewaltiger nicht angenommen. Das oberste Gericht bestätigte damit ein Urteil des Landgerichts Bochum aus dem Jahr 2003. Auch ein schwacher Anfangsverdacht rechtfertige den Gen-Test, so die Begründung. Und die Bochumer Staatsanwaltschaft könne entscheiden, wo dieser Verdacht anfängt. Weil Boukes zum potentiellen Täterkreis gehöre, könne er sich der Ermittlung nicht entziehen.

Der in Bochum massenhaft durchgeführte Speicheltest soll zu einem Täter führen, der seit zehn Jahren mindestens 21 Frauen brutal vergewaltigt hat. In dunkler Kleidung und mit einer schwarzen Maske verhüllt hielt er den jungen Frauen in der Nähe der Ruhr-Universität in Bochum ein Messer an die Kehle. Bisher gibt es keine heiße Spur, der Täter ist gesichtslos geblieben. Mittlerweile existieren sechs verschiedene Phantombilder von ihm, die alle nur eine Gemeinsamkeit haben: Der Mann ist durchschnittlich groß und hat dunkle Haare.

Das einzige, was die „Ermittlungskommission Messer“ von ihm hat, ist sein genetischer Code, seine DNA. „Der Massengentest war unsere einzige Chance“, sagt Komissarin Andrea Scheuten. Alle Männer zwischen 20 und 35 Jahren, die in der Nähe der Tatorte wohnten, wurden aufgefordert, eine Speichelprobe abzugeben. Über 9.800 Männer sind dem Aufruf gefolgt – 130 verweigerten den Einblick in ihr Erbgut. Einige von ihnen konnten mit einem stichfesten Alibi der Speichelprobe entgehen oder aufgrund ihrer Größe oder anderer herausragender Körpereigenschaften ihre Unschuld beweisen.

Boukes konnte dies nicht. Seitdem er die Speichelprobe verweigerte, hat die Polizei ihn wie einen Beschuldigten behandelt: Sie befragte seine Eltern, forschten an seinem Arbeitsplatz. „Ich will selbst über meine Daten bestimmen“, sagt Boukes. Er glaubt, dass durch die Suche nach dem Massenvergewaltiger die Akzeptanz von Gentests generell erhöht werden solle.

Boukes sieht in dem Verfahren sein sogenanntes „informationelles Selbstbestimmungsrecht“ gefährdet. Der Begriff wurde bei der zweiten Volkszählung in den 1980er Jahren geprägt und besagt, dass es einen bestimmten Bereich persönlicher Daten gibt, der geschützt ist – zum Beispiel Informationen über Krankheiten. Nur wenn es absolut notwendig ist, darf der Staat in diesen Bereich eingreifen. Boukes Düsseldorfer Rechtsanwalt Johannes Pausch findet die Gentests in diesem Fall nicht notwendig. „Der Täterbereich ist zu groß, als das für jeden ein Anfangsverdacht vorliegen kann“, sagt er. „Nach der Beschreibung hätte fast jeder Bochumer Bürger verdächtigt werden können.“

Überrascht hat Pausch die Karlsruher Entscheidung nicht. „In dem allgemeinen Klima der Terrorangst werden die Rechte des Staates erweitert, die der Bürger beschnitten.“ Jetzt bliebe ihm und seinem Mandanten nur noch der Gang vor den Straßburger Menschengerichtshof. Bis dieser in schätzungsweise vier Jahren sein Urteil fälle, müsse Boukes aber längst seinen Spucke abgegeben haben.