Stoiber kritisiert EU-Anwärter Tschechien

CSU-Chef: Festhalten an Beneš-Dekreten „integrationsfeindlich“. Prager Regierung weist Vorwürfe zurück

AUGSBURG dpa ■ Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) hat die tschechische Regierung wegen ihres Festhaltens an den Beneš-Dekreten massiv angegriffen. Bei diesen Dekreten, mit denen Vertreibung und Enteignung der Sudetendeutschen 1945 gerechtfertigt worden seien, handele es sich um „anhaltendes menschenverachtendes und völkerrechtswidriges Unrecht“, sagte Stoiber am Sonntag beim 54. Sudetendeutschen Tag. Zu dem Traditionstreffen waren nach Angaben der Veranstalter rund 60.000 Menschen nach Augsburg gekommen.

Der CSU-Chef bezeichnete die Beneš-Dekrete als Affront gegenüber der europäischen Werteordnung. Das Festhalten an ihrer Rechtsverbindlichkeit durch das tschechische Parlament verstoße gegen den 1992 geschlossenen Nachbarschaftsvertrag zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik. „Wer als kommendes EU-Mitglied 60 Jahre nach der Vertreibung noch Vertreibungsdekrete verteidigt, verhält sich integrationsfeindlich“, so Stoiber. Die Forderung nach Aufhebung der Dekrete werde nach dem EU- Beitritt Tschechiens zu einer zentralen Forderung im Europaparlament werden.

Der tschechische Ministerpräsident Vladimír Špidla wies die Kritik Stoibers als grundlos zurück. Er glaube nicht, dass der für 2004 geplante EU-Beitritt Tschechiens zu einer Aufhebung der Beneš-Dekrete führen müsse, betonte Špidla. Der Prager Abgeordnete Svatopluk Karasek sagte, es gebe „in Kreisen tschechischer Intellektueller durchaus eine Neigung, den Anteil tschechischer Schuld an der Vertreibung der Sudetendeutschen anzuerkennen“. Der Parteilose zeigte sich aber enttäuscht von der Rede des bayerischen Ministerpräsidenten, der „die Reflexion eigener Fehler“ vermissen lasse.

Unmittelbar vor Beginn der Veranstaltung in Augsburg hatte der tschechische Präsident Václav Klaus während eines Berlin-Aufenthaltes gesagt, ihm sei „die sudetendeutsche Problematik“ während seiner Besuche in Deutschland „nur sehr, sehr am Rande“ begegnet.