Ein überraschend offenes Geheimnis

Die Staatsanwaltschaft hat ihre Tempodrom-Ermittlungen auf Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) ausgeweitet. Das steht in einem vertraulichen Brief an den Senator, der aber ohne Kuvert zugestellt wurde. Sarrazin ist irritiert

Die Staatsanwaltschaft ermittelt auch gegen Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) wegen Untreue. Das geht aus einem Brief des Oberstaatsanwaltes Bernhard Brocher an Sarrazin hervor. Außerdem haben die Ermittler laut Tagesspiegel keinen Zweifel mehr daran, dass der Millionenzuschuss der Investionsbank Berlin (IBB) an das Tempodrom im Herbst 2002 gegen die Landesverfassung und gegen das Haushaltsrecht verstoßen hat.

In einem achtseitigen Schreiben an Sarrazin werden verschiedene Vorwürfe gegen ihn aufgelistet. So sei die Gegenleistung für den als Sponsoring deklarierten 1,74-Millionen-Euro-Zuschuss nicht angemessen gewesen. Die Investitionsbank Berlin (IBB) erhielt dafür fünf Freikarten pro Tempodrom-Veranstaltung. Staatsanwalt Brocher kritisiert zudem, dass nicht nachträglich eine Genehmigung des Abgeordnetenhauses für die Millionenzahlung eingeholt wurde.

Da Sarrazin am Wochenende nicht in Berlin war, wollte er selbst nicht Stellung nehmen. Sein Sprecher Mathias Kolbeck war vom Inhalt des Briefes nicht überrascht, da der Landesrechnungshof in seinem Bericht vom Herbst 2003 dem Senat Ähnliches vorwirft. Kolbeck sagte: „Wir bleiben bei der Auffassung, dass die fragliche Unterstützung im Herbst 2003 rechtlich nicht zu beanstanden ist.“

Sogar der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses Tempodrom, Michael Braun (CDU), erkannte „keine großen Neuigkeiten“ in den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft. Auch der Auftrag des Untersuchungsausschusses müsse sich nicht ändern, da Sarrazin ohnehin als Zeuge hätte aussagen müssen. Braun verwies darauf, dass Sarrazin der Morgenpost bereits am 26. Februar gesagt hat, ihm sei damals klar gewesen, dass es sich bei den 1,74 Millionen Euro „um eine Subvention handelte“. Braun: „Das klang nach Vorsatz.“

Auch Ausschusskollege Oliver Schruoffenegger (Grüne) ist wenig überrascht: „Mit diesen Vorwürfen war zu rechnen.“ Jetzt sei zu klären, ob Strieder alleinige Triebfeder der Affäre sei oder ob auch Sarrazin eine Hauptrolle gespielt habe. „Das ist eine juristische Frage, nichts für den Ausschuss“, sagte Schruoffenegger.

So wenig Überraschung der Inhalt des Briefes auslöste, desto mehr seine Form. Laut Finanzverwaltungssprecher Kolbeck fand sich das Schreiben ohne Kuvert und ungefaltet in der Poststelle der Verwaltung wieder. Und dies trotz der Vermerke „persönlich“ und „vertraulich“. „Wir haben sofort alle Maßnahmen ergriffen, dass kein Unbefugter den Brief kopieren konnte“, sagte Kolbeck. Dennoch kam der Brief an die Presse. „Der Senator ist irritiert über den Umgang mit seiner persönlichen Post“, sagte Kolbeck. Sarrazin behalte sich Konsequenzen vor. Schließlich handle es sich nicht im irgendeine Haushaltsunterlage, sondern um einen persönlichen Brief. Pikant: In den vergangenen Wochen hatte die SPD der Staatsanwaltschaft wiederholt Parteilichkeit in ihren Mitteilungen an die Presse vorgeworfen. Kolbeck sagte, er wolle niemanden beschuldigen. Die Sache müsse aber aufgeklärt werden. Bei der Staatsanwaltschaft war gestern niemand für eine Stellungnahme zu erreichen.

In der nächsten Woche will die Landes-SPD endlich klären, wie das vom Ex-Bauunternehmer Roland Specker gesponserte VIP-Essen zur Wahlkampffete 2001 zustande kam. „Wir geben den Bericht über unsere Wahlkampffinanzierung nächste Woche an die Bundesverwaltung und werden ihn auch angemessen öffentlich machen“, sagte SPD-Sprecher Hannes Hönemann. Einen Termin könne er noch nicht sagen, weil Wirtschaftsprüfer den Bericht noch untersuchen würden. „Dieses Mal soll es keine Unklarheiten geben“, so Hönemann. DANIEL SCHULZ