Pixi im Roggen

Beruhigend enttäuschend: Chris Fuhrmans Roman „Der letzte Sommer der Unschuld“

Es beginnt schon mit der Aufmachung und der Verlagswerbung. Nicht nur, dass der Verlag den nur mäßig tollen Originaltitel „The Dangerous Lives of Altar Boys“ in „Der letzte Sommer der Unschuld“ umbenannt hat, als handelte es sich um die Vorlage für einen David-Hamilton-Softporno. Man gibt den Roman auch noch mit einem völlig an den Haaren herbeigezogenen Salinger-Vergleich gewissermaßen gleich zum Abschuss frei: „Dieses Buch läßt Der Fänger im Roggen wie ein simples Filmbüchlein erscheinen … es ist bei weitem das beste Buch, das ich jemals gelesen habe“, zitiert die Verlagswerbung eine „amerikanische Leserin“.

Damit wird Chris Fuhrmans kleine Coming-of-age-Erzählung auf eine Fallhöhe gehoben, die die flache Geschichte um die Abenteuer des 13-jährigen Francis Doyle und seiner Bande – selbstverständlich alles „Draufgänger und Teufelskerle“– zu keinem Zeitpunkt verträgt. Im amerikanischen Savannah veranstaltet die Kinderbande allerhand Lausbubenstreiche der vorhersehbarsten Sorte; es geht um frühe Liebe, Zoff mit den Eltern und strenge Nonnen einer bigotten Klosterschule, in der Francis und seine logischerweise auch künstlerisch begabten Kumpane beim Malen von ketzerischen Comicbildern (nein, keine nackten Schwänze!) erwischt werden und dafür von der Schule zu fliegen drohen. Als Ablenkungsmanöver beschließt man, einen Berglöwen aus dem städtischen Zoo zu entführen und nachts in der Schule auszusetzen, was natürlich alles noch tragisch enden wird und so weiter.

Das Problem von „Der letzte Sommer der Unschuld“ ist gar nicht mal der Plot, der sich zum „Fänger im Roggen“ wie ein Pixi-Buch zu den „Buddenbrooks“ verhält. Es ist vielmehr die hölzerne, pointenlose und metaphernarme Sprache, in der Fuhrmann erzählt. Etwa wenn er seinen 13-jährigen (!) Helden über Sex („Sexualität beunruhigte mich ebenso sehr, wie sie mich erregte. Ich war immer noch schockiert darüber, daß achtbare Menschen mit einem Beruf und einer Familie ihre Kleider auszogen und sich aneinander rieben“) oder das Leben im Allgemeinen philosophieren lässt: „Das Problem im Leben besteht darin, daß es langweilig ist, wenn man keine Schwierigkeiten hat.“

„Der letzte Sommer der Unschuld“ ist dann letzten Endes auf eine fast schon wieder beruhigende Weise enttäuschend: Lange Zeit glaubte man ja, ein schlechter amerikanischer Roman könnte wegen des ganzen Creative-Writing- und Natural-Born-Storytelling-Dings niemals so schlecht sein wie ein schlechter deutscher Roman. Chris Fuhrman liefert den unspektakulären Gegenbeweis, was insofern auch bitter ist, als hinter dem Roman dann doch eine bewegende Geschichte steckt: Der Autor starb 1991 mit 31 Jahren an Krebs, während der letzten Überarbeitung seines Debütromans. Dieser konnte erst 1994 posthum und von einem Freund lektoriert erscheinen, musste dafür dann aber auch gleich wieder mit Jodie Foster verfilmt werden. Der Film floppte, lief aber immerhin letztes Jahr unter dem Titel „Lost Heaven“ im Kinderprogramm der Berlinale. Schade um die schöne Geschichte. ANDREAS MERKEL

Chris Fuhrman: „Der letzte Sommer der Unschuld“. Aus dem Amerikanischen von Ulrike Laszlo. Heyne Taschenbuch Verlag, München 2004, 238 Seiten, 8 Euro