ich bedrohe jede zigarette mit einem wolf-biermann-konzert von ANDRÉ PARIS
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Vor zwei Wochen habe ich das Rauchen aufgegeben. Das heißt, „aufgegeben“ habe ich es eigentlich nicht. Ich habe lediglich damit aufgehört. Erst mal. Falls ich achtzig werden sollte, fange ich garantiert wieder damit an. Drei Schachteln täglich. Minimum!

Das Rauchen wirklich aufzugeben, wäre zudem etwas illoyal, nach all dem, was es dreizehn Jahre lang für mich getan hat. Auch finde ich nicht, dass wir – das Rauchen und ich – im Streit auseinander gegangen sind. Es gab weder böse Worte noch sachlich getarnte Schuldzuweisungen, die mit „Du hast immer …“ anfangen und mit dem Vernichten von Devotionalien aufhören. Trotzdem muss ich gestehen, dass ich mich dem Rauchen gegenüber recht ungebührlich verabschiedet habe. Nämlich gar nicht. Stattdessen habe ich mich nachts davongeschlichen. Zwei Tage lang habe ich die Abstinenz sogar mir selbst gegenüber geleugnet. Am dritten Tage jedoch ließ sich die nikotinöse Abwesenheit nicht mehr verheimlichen. Ich konnte ja nicht länger so tun, als hätte ich lediglich vergessen, mir eine anzustecken, oder wüsste nicht mehr, wo die Kippen liegen, oder hätte schlichtweg verlernt, wie man sich eine anzündet.

Es kam zu einer körperinternen Hetzkampagne des Rauchbedürfnisses: Das Rauchbedürfnis verbreitete das Gerücht, ich wolle „kurzen Prozess“ machen. Und zwar nicht nur mit dem Rauchbedürfnis, sondern auch mit allen anderen Bedürfnissen. Der Rauchstopp stünde lediglich am Anfang einer großen Säuberungswelle. Sexualität, Marzipan, französische Musik und spätes Abendessen würden sehr bald folgen: „Heute wir, morgen ihr!“, krakeelte das Rauchbedürfnis und rief dazu auf, mich von meinem Vorhaben abzubringen. Sonst würde ich am Ende jeglichem Bedürfnis den Garaus machen: „Denkt daran, was er im Februar vor vier Jahren getan hat. Das Saufen hat er eingestellt. Bevor der Alkohol aus seinem Blut verschwand, hat er noch unser baldiges Ende prophezeit. Und wir? Gespottet haben wir! Wir sagten, das wird der schon nicht machen. Wenn er den Alkohol nicht mehr hat, wird er uns umso dringender benötigen. Jetzt sind wir dran! Wehrt euch! Lasst uns zu einem gemeinsamen, untrennbaren Bedürfnis verschmelzen.“

Um fünf Uhr morgens hatte das Rauchbedürfnis seine ungefähr zehnstündige Rede beendet. Die ganze Nacht war ich auf den Beinen, um seiner listigen Propaganda entgegenzutreten: Ich aß Marzipan bis zur Übelkeit, hörte CDs von Francis Cabrel und Brassens. Und auch der Sexualität enthielt ich mich nicht. Das ging noch ein paar Tage so weiter. Ich hoffte, dass das Rauchbedürfnis früher oder später aus dem Container gewählt werden würde.

Wirklich geholfen hat mir jedoch etwas anderes: Ein Musiktherapeut riet mir, ich solle jede Zigarette mit einem 24-stündigen Wolf-Biermann-Konzert assoziieren. Zwar leide ich seitdem unter extremen Angststörungen, weil ich befürchte, ich müsse für jede bisher gerauchte Zigarette im Nachhinein eine Stunde Biermann hören, doch habe ich vom Rauchbedürfnis seither kein einziges Wort vernommen.