Kuscheln hinter dem Jägerzaun

Die Wohn- und Lifestylemesse „Ambiente“ weiß, wie man die Konsumlust steigert: Sie bettet auf Rosen

190.000 Quadratmeter rappelvoll mit all dem, was der Kunde im kommenden Jahr nicht wirklich brauchen, aber dennoch kaufen soll. Auf der Frankfurter Konsumgütermesse „Ambiente“ ist alles wie gehabt – auch in der Krise, Motto: „Traditionally News“. Knapp 5.000 Unternehmen aus 87 Ländern zeigen noch bis Dienstag ihre Waren. Ein knappes Drittel der Stände ist von bundesdeutschen Herstellern und Händlern bestückt. Der Export ist ihr Geschäft, der Endverbraucher bleibt ein scheues und hybrides Wesen.

Unzweifelhaft konsumiert er, wenn er kann, weltweit im Stil westeuropäischer Kulturen, polstert und dekoriert seine Wohnstätten nach dem Vorbild englischer Landhäuser, holt sich dazu die Fremde im Kolonialstil ins Haus: viel Braun, gedämpfte Farben, Dunkelrot, Orange und Olivgrün, flauschig streichelbar, kuschelig und solide, Edelhölzer, Leder, Brokat. Dazu gibt es eine aufhellende Prise Lifestyle und Lebensart aus der Toskana, schlicht weiß, stählern, irden, gläsern, meergrün und blau. Kosmopoliten ergänzen mit japanischem Design. Die Deutschen mögen es ganz besonders britisch in Küche, Haus und Garten – ein Geschäft für Anna Galiano.

In Halle 9 betreut und berät sie die potenziellen Einkäufer der englischen Haushaltswarenfirma Churchill, die seit 200 Jahren Geschirr vertreibt, Jahresumsatz 75 Millionen Euro. Churchill trifft den Geschmack der Zeit und schafft Anreiz für Massenkunden, denen das Geld auch 2004 nicht locker aus der Geldbörse zu ziehen sein wird. Die Firma beliefert große Versandhäuser mit Katalogware und weiß, wie die derzeit noch immer ungebrochen gefühlte Armut der Deutschen in Kaufentscheidungen umgelenkt werden kann: „Hier sind viele Leute romantisch und nostalgisch“, sagt Galiano, „romantic sense“. Rosen, blaue Blüten und Blätter auf weißem Grund, Trend „blue and white“. Der deutsche Kunde sei „noch immer verunsichert“, und wolle „zurück in die Vergangenheit“, denn die, denke er jedenfalls, „war besser“.

Anna Galiano wagt einen Blick in die Zukunft des bundesdeutschen Verbraucherverhaltens, und die ist auch nicht bunt: „Wir leben in so schnellen Zeiten: Da gibt es ein Bedürfnis nach Ruhe gegen die Bewegung.“ Sie sieht den Ethno-Look heraufziehen, zurück zur Natur, Pflanzenfarben, dazu schokoladenbraunes Afrika, beruhigend „wie eine Tasse warmer Kakao“ und „ein bisschen traurig“.

Nun ist es aber nicht so, dass die laut Prognosen weiterhin nicht besonders konsumfreudigen Deutschen bei gesunkener Reiselust und Kneipenabstinenz sich nur im privaten Kokon einspinnen. Sie wollen wieder raus. Deshalb bietet „Ambiente“ 2004 in Halle 6 ein neues Marktsegment an: „Outdoor Living“. Das klingt nach Abenteuerreisen, reicht aber gerade bis zu Balkongitter und Jägerzaun.

Die Hollywoodschaukel nebst Sektgeplantsche und Bikini ist endgültig von gestern. Der Garten ist Domäne der Frauen, und die Gartenfreundin gibt bei sich zu Haus gerne die blasse Engländerin, rosenverliebt, blümchenwütig mit Sehnsucht nach Südeuropa. Die neue Außenmöblierung hält ewig. Edelhölzer müssen nicht in die Garage, sie stehen auch im Winter draußen. Nicht ganz so rosenverliebt sieht die Stimmung in den Hallen aus: wegen Firmenpleiten gesunkene Austellerzahlen, gedämpfter Optimismus allenthalben.

So sieht das Fachmagazin stil &markt etwa die Ursache für den Niedergang einer Christbaumschmuckfirma zum einen im „drastischen Rückgang des USA-Geschäftes“, zum anderen darin, dass das „gesamte Sortiment ausschließlich in Deutschland hergestellt“ und somit nicht wettbewerbsfähig war. 100 Arbeitsplätze dahin, neue Kundschaft für die Billigmärkte. Der kleine Luxus liegt weiterhin im Trend.

Nur bei der Indikatorfirma Koziol aus dem Odenwald herrscht Partystimmung, eine Insel im Meer der Tränen. Sie produziert Plastik, bunt, witzig, überflüssig und erschwinglich: der Spaghettitester mit Haken und Öse oder Topfkratzerhalter, die Kontaktlinsenbox – Spaß für wenig Geld und gut gelaunte Kleinstkonsumenten, neongrün und himbeerrosa: „Ideas for friends. Made in Germany“.

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