Süßes für die Maus

Zu Ostern müssen beim Marzipankönig Niederegger in Lübeck Sonderschichten gefahren werden. Von einer Konjunkturkrise spürt man hier überhaupt nichts. Nur Politik und Porno sind tabu

von JAN FREITAG

„Also, das hier sind Mandeln. Die kommen in diesen Trichter. Säckeweise. Darunter werden sie abgebrüht und purzeln unten ohne Haut wieder raus. Toll. Aber laut ist es hier. Deswegen gehen wir mal weiter zu den Frauen am Fließband. Hier ist es ruhiger. Und es riecht besser. Nach Marzipan. Mmmh.“ So könnte es klingen, wenn die Sendung mit der Maus Station in Lübeck macht. Bei Niederegger, der berühmtesten Marzipanmarke auf dem Globus.

Doch das Kinderfernsehen lässt noch auf sich warten. „Leider“, klagt Firmensprecherin Gaby Kratzenstein. „Galileo“, der private TV-Klon für Erwachsene, sei zwar schon mal da gewesen. „Aber auf die Maus warten wir noch. Dabei ist unser Produktionsablauf doch so interessant.“ Und hektisch, gerade in Spitzenphasen. Kurz nach Eiskratzern und knapp vorm Spargel hat derzeit das Osterei Konjunktur. Und einer der wichtigsten Lieferanten im Hochpreissegment ist die fast 200 Jahre alte Mandelpresse nördlich von Hamburg.

Rund 500 Menschen produzieren, präsentieren und distribuieren die klebrige Masse mit den wohl gehüteten Ingredienzien. Vor Weihnachten und Ostern (also fast das ganze Jahr) kommen bis zu 250 Saisonkräfte hinzu. Und die sind bitter nötig, denn wider den allgemeinen Wirtschaftstrend boomt der Markt für edle Süßigkeiten – nicht zuletzt dank Feiertagen, an denen selbst Knauserige fünf Euro für ein kapitales Marzipanbrot gerade sein lassen. „Wir legen kontinuierlich zu“, jubelt Gaby Kratzenstein über schwarze Zahlen und nennt den Grund in Zeiten der Krise: „Ich wundere mich selbst, welche Schichten sich unsere Produkte leisten.“ Die Kundschaft tendiere zu „weniger, aber dafür gut“.

Wer nach diesem Prinzip shoppt, sollte zum Wohl von Body-Mass-Index, Darmflora und Zahnschmelz einen Besuch bei J. G. Niederegger besser meiden wie Marzipan das Rosenwasser. Denn auch wenn der blumige Zusatz seit langem synthetisch ersetzt wird, ist auf dem Großteil des 23.000 Quadratmeter großen Fabrikgeländes selbst der perfideste Diätplan chancenlos.

Schon mal davon geträumt, in der Süßwarenabteilung eines Kaufhauses eingesperrt zu werden? Voilà! Das hat auch die kühnste Variante nicht imaginiert: In riesigen Kübeln werden Tag für Tag bis zu 30 Tonnen goldbrauner Rohmasse über offener Flamme gerührt und geröstet. Damit nicht genug landet der duftende Brei eine Halle weiter erst in pittoresken Formen, dann unter der Schokodusche. “Nehmen Sie ruhig. Ist genug da“, versucht Marzipanagitatorin Kratzenstein die Suchquote zu steigern.

Zunächst erfolglos. Doch ein paar Schritte weiter saugen 1000-Gramm-Torten gute Vorsätze an wie schwarze Löcher Sterne. Bevorzugt Städtebauliches wie Holstentor oder Michel auf Schokogrund, gern aber auch Haustiere, Paragraphen, Jagdgewehre, Wohnwagen und – tagesaktuell – Österliches. Alles Handarbeit, mit Pinseln liebevoll „geschminkt“. Nur Politik und Porno ist laut Firmenphilosophie fürs Bastelmaterial Marzipan tabu. Was war noch mal politisch? Irgendwo schneidet eine Dekorexpertin per Schere Zacken in phallisch anmutenden Marzipanspargel. Mercedessterne sind bei Niederegger tatsächlich zum anbeißen.

Sobald mehrere Verpackungslagen abgepult sind. Gut ein Drittel Zucker, sieben Prozent Wasser, Mandeln, Aromen - Niederegger GmbH & Co. KG steht für “Naturprodukte mit geringstmöglichem Zuckergehalt“. Nur die Müllberge nach dem Auspacken treiben jedem Naturschützer Tränen in die Augen. Marzipan sei eben empfindlich, entschuldigt Gaby Kratzenstein die dürftige Ökobilanz. Dafür sind die Lebensmittelfarben unbedenklich und die Mandeln nicht aus Kalifornien.

Ist aber eigentlich alles zweitrangig. Das hier ist nämlich jetzt das fertige Marzipanosterei. „Das ist zwar doof verpackt. Und ganz schön teuer. Aber dafür ziemlich lecker. Gerade an Ostern.“ Die Maus kann kommen.