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: Im Nordirak müssen sich die Kurden mit den Türken arrangieren

Nach dem Fall Bagdads beginnen nun die kritischen Tage im Nordirak. Das Regime ist kollabiert, Saddams Soldaten in Kirkuk und Mossul verlassen ihre Stellungen und kurdische Peschmergas rücken ein. Damit ist eine hochbrisante Situation entstanden, die im schlimmsten Fall dazu führen kann, dass der erste Post-Regionalkonflikt ausbricht, noch bevor der Krieg wirklich zu Ende ist.

 In zähen Verhandlungen vor dem US-Angriff auf Saddams Irak haben Powell und Rumsfeld der Regierung in Ankara zugesagt, dafür zu sorgen, dass nicht die Kurden die Kontrolle über die beiden nordirakischen Großstädte übernehmen und dass das Öl von Kirkuk unter nationaler irakischer Regie bleibt. Dafür soll im Gegenzug die türkische Armee in ihren Kasernen bleiben. An dieses Versprechen hat der türkische Außenminister seinen US-Kollegen gestern erinnert und angeblich von Powell alle Garantien bekommen, dass es bei diesen Zusagen bleibt.

 Daran muss Washington sich nun messen lassen. Wenn die USA verhindern wollen, dass jetzt andere nach ihrem Vorbild aus eigener Machtvollkommenheit mit militärischen Mitteln ihre vermeintlichen Sicherheitsinteressen durchsetzen, müssen sie sich beeilen. Nach den vollmundigen Ankündigungen kann die türkische Regierung nun nicht einfach stillschweigend hinnehmen, wie die Milizen von Barsani und Talabani vollendete Tatsachen schaffen. Ihre Armee steht genau für diesen Fall seit Wochen an der Grenze und wartet auf den Einsatzbefehl. Es wird allerhöchste Zeit, dass US-Truppen Kirkuk übernehmen.

 Auch die Kurden wären gut beraten, zumindest so zu tun, als handelten sie lediglich auf amerikanischen Befehl. Die politische Führung der Kurden im Nordirak muss nun zeigen, dass sie in der Lage ist, klug und kühl zu agieren – auch wenn im Augenblick die Menschen auf den Straßen ihren Emotionen freien Lauf lassen. Für die zukünftige kurdische Selbstverwaltung, egal ob Autonomie, Konföderation oder auch als eigener kurdischer Staat, sind sie langfristig unbedingt auf einen Ausgleich mit der Türkei angewiesen. Da wäre es nun allemal besser, sich als verlässliche Partner zu präsentieren, als die vermeintliche Gunst der Stunde zu nutzen und so womöglich einen türkischen Einmarsch zu provozieren. JÜRGEN GOTTSCHLICH