Anti-Terror-Abkommen mit explosivem Inhalt

Deutsch-türkisches Dokument erwähnt die Organisation Milli Görüs und stößt bei Abgeordneten in Ankara auf Kritik

ISTANBUL taz ■ Morgen soll im türkischen Parlament ein Abkommen ratifiziert werden, das der deutsche Innenminister Otto Schily vor zwei Wochen mit seinem türkischen Kollegen Abdulkadir Aksu in Ankara unterschrieben hat. Dabei geht es um ein Abkommen zur gemeinsamen „Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität“, das lang verhandelt wurde und von Schily nun zum Abschluss gebracht worden ist.

Einen Tag vor der Parlamentssitzung ist fraglich, ob sich dafür eine Mehrheit findet. Der Grund: Eine der Organisationen, die dort als potenziell terroristisch auftaucht, ist Milli Görüs. Die Mitglieder der regierenden AKP-Fraktion waren „geschockt“, wie die türkische Daily News anmerkte, schließlich ist Milli Görüs („Nationale Sicht“) der bundesdeutsche Ableger der hiesigen Erbakan Partei Saadet, beziehungeweise deren Vorgängerin Fazilet. In der damaligen Fazilet-Partei waren fast die Hälfte der jetzigen AKP-Abgeordneten selbst organisiert, bevor die Partei sich spaltete und der Reformerflügel unter Premier Tayyip Erdogan die AK Parti gründete. Nach Auskunft der deutschen Seite hat die türkische Regierung den Sprengsatz selbst gelegt. Im Abkommen ist weder von Milli Görüs, der PKK, deren Nachfolgepartei Kadek oder einer anderen Organisation die Rede. Dort wird allgemein eine mögliche terroristische Bedrohung definiert, die die Sicherheitsbehörden beider Länder gemeinsam bekämpfen sollen. Milli Görüs taucht erst in der Begründung des Abkommens auf, die das türkische Außenministerium für das Parlament verfasst hat. Peinlich für Erdogan und sein Kabinett ist, dass Außenminister Gül – der zweite Mann in Regierung und Partei – diese in seinem Haus verfasste Begründung selbst unterzeichnet hat.

Mittlerweile rudert Gül zurück. Die Begründung sei von einem „wichtigtuerischen Beamten“ verfasst worden, er persönlich halte Milli Görüs „nicht für terroristisch“. Ob den Abgeordneten diese Beteuerungen ausreichen, um dem Abkommen zuzustimmen, ist dennoch fraglich. Schließlich wird Milli Görüs in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet und in der Vergangenheit waren, vor allem nach den Anschlägen vom 11. September 2001, Stimmen laut geworden, die islamische Organisation zu verbieten.

Lehnt das Parlament eine Ratifizierung ab, wäre das nach Meinung des Sprechers der deutschen Botschaft in Ankara, Thomas Bagger, ein „unverdienter Kollateralschaden“. Schließlich habe man sich jahrelang bemüht, die polizeiliche Zusammenarbeit, die begrenzt bereits stattfände, endlich auf eine sichere rechtliche Basis zu stellen.

JÜRGEN GOTTSCHLICH