KARL MARX

Und die Mosel

„Betrachten wir nun einige der bekannt gewordenen Mittel, welche die Regierung zur Milderung des Notstands der Mosel anwandte … Wir zählen zu diesen Mitteln: die Steuererlasse in schlechten Weinjahren, den Rat, zu einer andern Kulturart, etwa dem Seidenbau, überzugehen, und endlich die Motion, die Parzellierung des Grundbesitzes zu beschränken. Das erste Mittel soll offenbar nur erleichtern, nicht abhelfen. Es ist ein momentanes Mittel, in welchem der Staat eine Ausnahme von seiner Regel macht, und eine Ausnahme, die nicht kostspielig ist. Es ist auch nicht der konstante Notstand, es ist ebenfalls eine ausnahmsweise Erscheinung desselben, die erleichtert wird; es ist nicht die chronische Krankheit, an die man sich gewöhnt hat, es ist eine akute Krankheit, von der man überrascht wird. Mit den beiden andern Mitteln tritt die Verwaltung aus ihrem eigenen Kreise heraus. Die positive Tätigkeit, die sie nun entwickelt, besteht darin, daß sie teils den Mosellaner belehrt, wie er sich selbst helfen könne, teils ihm eine Beschränkung und Entsagung eines bisherigen Rechts vorschlägt …

… Die Verwaltung, die den Notstand der Mosel inkurabel und in Umständen, die außerhalb ihrer |188| Maximen und ihrer Tätigkeit liegen, begründet gefunden hat, stellt an den Mosellaner den Rat, seinen Zustand so einzurichten, daß er in die jetzigen Verwaltungsinstitutionen hineinpasse und innerhalb derselben erträglich existieren könne. Der Winzer selbst fühlt sich durch dergleichen Vorschläge, wenn sie auch nur gerüchtweise zu ihm dringen, schmerzlich berührt. Er wird es mit Dank anerkennen, wenn die Regierung Experimente auf eigene Kosten anstellt; aber er fühlt, daß die Anweisung, an sich selbst Experimente vorzunehmen, eine Resignation der Regierung ist, durch eigene Tätigkeit zu helfen. Er begehrt Hülfe und nicht Rat. So sehr er dem amtlichen Wissen in der ihm angehörigen Sphäre vertraut und sich vertrauungsvoll an dasselbe wendet, ebensosehr traut er in seiner Sphäre sich selbst die nötige Einsicht zu.

Eine Beschränkung der Parzellierung des Grundbesitzes aber widerstreitet seinem angeerbten Rechtsbewußtsein; er erblickt darin den Vorschlag, seiner physischen Armut noch die rechtliche Armut hinzuzufügen, denn in jeder Verletzung der gesetzlichen Gleichheit erblickt er einen Notzustand des Rechts …“

Im Jahr 1841 berichtete Karl Marx als Korrespondent für die Rheinische Zeitung über die Verarmung der Winzer an der Mosel. Karl Marx, Friedrich Engels: „Werke“. Dietz Verlag, Berlin, Band 1, S. 172–199