Tausend Kilometer zum Bierholen

In der EU fallen die letzten Alkoholimportschranken: Skandinavier dürfen ab diesem Jahr 230 Liter Alkoholhaltiges pro Reise importieren – und stillen ihren Durst am liebsten in Deutschland. Discounter bieten Rundum-Service bis zum Schiff

AUS STOCKHOLM REINHARD WOLFF

Die Zeiten restriktiver Alkoholpolitik sind in Skandinavien endgültig vorbei. Nicht etwa, dass die Regierungen in Stockholm und Helsinki ihre Politik der hohen Steuerlast auf Bier, Wein und Schnaps aufgegeben hätten. Oder gar jeder – und nicht nur wie bisher staatliche Läden – das Zeug verkaufen dürfte.

Praktisch sind diese Verbrauchsbeschränkungen aber seit dem 1. Januar vollständig ausgehebelt. Denn jetzt kann aus dem EU-Ausland bei einer einzigen Reise legal so viel Alkoholisches eingeführt werden, dass es fürs ganze Jahr reicht. Und auch GroßkonsumentInnen müssen nur glaubhaft eine Familienfeier vortäuschen, um selbst letzte Begrenzungen zu umgehen.

Doch auch für die ist mindestens ein Kleinlaster nötig: 110 Liter Bier, 110 Liter Wein und 10 Liter Hochprozentiges lautet jetzt die legale Pro-Kopf-Quote. Schätzungsweise eine 350-Kilo-Last, mit der eine Familie nicht nur beim zulässigen Gesamtgewicht, sondern auch volumenmäßig schnell an die Grenzen selbst des geräumigsten Kombis stößt.

Die Verbrauchertipps schwedischer und finnischer Zeitungen zum Jahreswechsel drehten sich deshalb auch hauptsächlich um die Frage, wie die geneigte Leserschaft die „Quote“ am billigsten und effektivsten über die Grenze schaffen könnte. Die Zeiten, in denen sich SchwedInnen in Dänemark und FinnInnen in Estland mit ihrer auf sackkarrenähnlichen Spezialgefährten gestapelten „Tagesration“ an Dosen und Flaschen versorgen mussten, sind vorbei. Angesichts der jetzt erlaubten großen Mengen zählt nur noch der richtig billige Alkohol. Und den gibt’s in Deutschland.

Die speziellen „Alkoholreisen“ finnischer Reisebüros für die ersten Januartage waren schnell ausverkauft. Mit der Autofähre geht es 1.000 Kilometer quer über die Ostsee. In Rostock muss man zum Einkauf bei Aldi das Hafengebiet praktischerweise gar nicht erst verlassen. Schnell in der speziell für die Nordlichter dort mit Sichtweite zum Fährschiff hingebauten Filiale vollbunkern und zurück an Bord. Im Paketpreis ist ein Vorbestellungsservice und Transporthilfe per Sattelschlepper enthalten. Für SchwedInnen ist neben Rostock das schnell via Dänemark zu erreichende Burg auf der Insel Fehmarn Hauptreiseziel. Die am Rand der letzten Kleinstadt vor der Grenze aus dem Boden geschossenen Supermärkte haben sich längst auf die nordische Kundschaft eingestellt: Die Sechserkartons Wein und Whisky werden erst gar nicht mehr geöffnet. StammkundInnen holen ihre vorbestellte Ware fertig gepackt auf Palette am Lastkai ab.

Vom schwedischen oder finnischen Zoll haben solche privaten „Importeure“ nichts zu befürchten. „Uns interessieren nicht die Privatreisenden, sondern nur das organisierte Verbrechen“, sagt der finnische Zollinspektor Kari Rajamäki. Rund 200 Euro teurer kann die „Alkoholralley“ allenfalls dann werden, wenn man in eine Polizeikontrolle gerät. Beim Probelauf in der Silvesterwoche wurden bereits 20 völlig überladene Pkws gestoppt – innerhalb einer Stunde. Obwohl man, so Polizeiinspektor Roland Johansen, nur die Autos angehalten habe, „bei denen die Frontscheinwerfer in den Himmel leuchteten und das Hinterteil fast auf dem Asphalt schleifte“.

Den für den deutschen Fiskus zweifellos einträglichen, ansonsten aber unsinnigen Freizeitsport der „Alkoholralleys“ zu stoppen, gibt es wohl nur ein Rezept: Die skandinavischen Regierungen müssten ihrer restriktiven Alkoholpolitik mit mehrfach über „kontinentalem“ Niveau liegender Steuerbelastung endgültig ade sagen. Bis dahin dürften aber noch viele Stoßdämpfer ihren Geist aufgeben.