Politischer Wille sinkt mit dem Pegelstand

Hochwasserschutzkonferenz: Elbe, Ems, Weser auf keinen Fall ausbauen, fordert WWF. Findet Jürgen Trittin auch

BERLIN taz ■ Auf der in Bonn stattfindenden Hochwasserkonferenz diskutieren noch bis heute internationale Experten darüber, wie sich Mensch, Hab und Gut vor künftigen „Jahrhundertfluten“ schützen lassen. Dabei sind die Ursachen längst bekannt: Flüsse werden verbreitert und vertieft, natürliche Überschwemmungszonen besiedelt oder für die Landwirtschaft trockengelegt.

Einen neuerlichen Beweis für den Zusammenhang von Flussausbau und Überschwemmung legte gestern der World Wide Fund for Nature (WWF) vor. Die Studie „Flussvertiefung contra Hochwasserschutz“ listet wesentliche Ausbauten an den Mündungen von Elbe, Weser und Ems seit 1850 auf. Im Hamburger Hafenbereich beispielsweise erhöhten sich die Wasserstände der Sturmfluten seit 1950 um 60 bis 70 Zentimeter. Für etwa ein Drittel dieses Anstiegs seien Baumaßnahmen wie Vertiefungen und Eindeichungen verantwortlich. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangen die WWF-Experten für die Unterläufe von Weser und Ems. Fazit: „Das Auftreten eines Jahrhunderthochwasser mit riesigen Oberwassermengen wie im Sommer 2002 zu Sturmflutzeiten ist nicht auszuschließen.“

Kurz nach der Jahrhundertflut im Osten Deutschlands und kurz vor der Bundestagswahl hatte die Bundesregierung noch schnell reagiert – mit einem „Aktionsplan“. Fünf Punkte zum Schutz vor Hochwasser hatte die rot-grüne Koalition am 15. September des vergangenen Jahres beschlossen. Zum Thema „Flussausbau überprüfen – Schifffahrt umweltfreundlich entwickeln“ heißt es im Programm, dass „alle Ausbauplanungen und in ihren Auswirkungen vergleichbare Unterhaltungsmaßnahmen auf den Prüfstand zu stellen“ seien. Die Überprüfung soll abgeschlossen sein, bevor im Frühjahr der Bundesverkehrswegeplan kommt.

Emil Dister, Leiter des WWF Auen-Institutes, stellt der Bundesregierung derweil ein Armutszeugnis aus. Mit den Pegeln der Flüsse sei der Mut der Politiker gesunken, so Dister. Wie schon nach der „Jahrhundertflut“ an der Oder 1997 verfiele die Hochwasserpolitik wieder in ihren alten Trott. Bund, Länder und Kommunen verhedderten sich im Kampf um Zuständigkeiten. In der Wasserrahmenrichtlinie der EU fehle das Thema Hochwasserschutz. Damit werde „die völlig verfehlte Flusspolitik der letzten 180 Jahre fortgesetzt“, so Dister.

Bundesumweltminister Jürgen Trittin hat das Problem durchaus erkannt: „Wir müssen den Flüssen mehr Raum geben“, beschwor er gestern in Bonn die Konferenzteilnehmer. Darüber hinaus wurde er aber nicht allzu konkret: Lokale Interessen dürften der Renaturierung nicht im Weg stehen. Die Bebauung müsse endlich bundeseinheitlich geregelt werden. Und die EU benötige eine gemeinsame Strategie. Schließlich verwies der Minister darauf, dass man schon verbindliche Maßnahmen zum Hochwasserschutz beschlossen habe – den besagten Fünf-Punkte-Plan. Dieser solle nun „in Zusammenarbeit mit den Ländern und den europäischen Nachbarn umgesetzt werden“. Übersetzt heißt das: Es kann dauern.

Damit können Länder und Kommunen vorerst weiterhin so ehrgeizige Projekte beschließen, wie es beispielsweise der Bremer Senat vorgestern verabschiedete. 400 Einfamilienhäuser soll der geplante „Ochtum-Park“ umfassen (taz Bremen berichtete). Ungeachtet der Tatsache, dass 12 der 35 Hektar des Wohngebietes als Hochwasserschutzgebiet ausgewiesen sind. Es lässt hoffen, dass die Bremer in puncto Hochwasserschutz nur auf einem Auge blind zu sein schienen. Denn: Gleichzeitig zu dem umstrittenen Bauprojekt verabschiedeten sie den Hochwasserschutzbericht von Umweltsenatorin Christine Wischer (SPD). Darin ist zu lesen: „Hochwasser in der Ochtum sind eine Gefährdung für Bremen. Hochwasseraufnahmeräume sollten ohne Ausgleich nicht mehr reduziert werden.“ ANETT KELLER