UN-Vetomacht Frankreich als der Adressat

Das US-Börsenblatt „Wall Street Journal“ macht mit dem „Aufruf der Acht“ Politik. Spaniens Regierungschef hilft dabei

MADRID taz ■ Spaniens Regierungschef José María Aznar leidet offenbar an Gedächtnisschwund. „Ich kann mich gerade nicht erinnern, wer der Vater der Idee war, einen Artikel zu schreiben. Ich glaube nicht, dass das ein Verbrechen ist“, wiegelte er am Donnerstagabend auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem britischen Amtskollegen Tony Blair die wiederholten Fragen nach dem Appell zum Schulterschluss mit den USA ab.

Zum Glück hilft das US-Börsenblatt Wall Street Journal dem vergesslichen Spanier auf die Sprünge. „Wir haben vorige Woche Aznar, Berlusconi und Blair jeweils um einen Kommentar gebeten“, erklärt Michael González, Vizechef der Meinungsredaktion der Europaausgabe, gegenüber der taz. „Anschließend haben sich die Regierungen untereinander verständigt.“

Das Wall Street Journal wird von der Dow Jones Gruppe herausgegeben. Diese verdient einen Großteil ihres Geldes mit der elektronischen Übertragung von Marktdaten. In Deutschland ist sie durch Überkreuzbeteiligung mit dem Handelsblatt verbunden, in dem die „Erklärung der Acht“ ebenfalls erschienen war. „Aznar hatte ganz klar die Führungsrolle bei der Initiative, einen gemeinsamen Text abzufassen“, so González weiter. Aznar habe Blair für die Idee begeistert, weitere Unterzeichner zu suchen und den Text möglichst breit zu veröffentlichen.

Ein erster Entwurf war im spanischen Regierungspalast erstellt worden. Der ging nach London, wo das Englisch geglättet wurde. Aznar und Blair sind auch dafür verantwortlich, dass der Text einigen Ländern vorgelegt wurde und anderen nicht. Holland erhielt den Appell. Die Regierung wollte ihn aber nicht unterzeichnen. Bei der griechischen EU-Präsidentschaft sowie in Paris und in Berlin sprachen die beiden nicht vor.

Aznar und Blair wiesen den Vorwurf zurück, die EU zu spalten. Es ginge lediglich darum, die UN-Resolution 1441 zu betonen.

González und seine Redaktion sehen das anders. „Wir haben die Regierungschefs um ihre Meinung über die deutsch-französische Haltung im Irakkonflikt gebeten. Wir wollten damit Bush und natürlich auch Blair stärken“, offenbart der Journalist.

Vorher hatte das Wall Street Journal bereits gegenüber der französischen Agentur AFP erklärt, dass sich die Initiative des Blattes, proamerikanische europäische Regierungschefs zu Wort kommen zu lassen, vor allem Frankreich richte, weil es über ein Vetorecht im UN-Sicherheitsrat verfügt: „Frankreich ist in der einzigartigen Position, zu entscheiden, ob eine US-geführte Aktion zum Sturz von Saddam Hussein eine Zustimmung der UNO bekäme.“ Diese Stoßrichtung wurde in der gestrigen Europaausgabe des Blattes fortgesetzt. Alain Madelin, der 1995 bis 1996 Finanzminister unter Jacques Chirac war, schloss seine Kolumne mit den Worten: „Für Frankreich ist es Zeit sich zu entscheiden: Ob es den irakischen Diktator vor Amerika schützen will oder die Welt vor Saddam.“

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