Addio, bella Italia!

Sugo vom Reh statt Wildgulasch: In Deutschland wird der kulinarische Trend noch immer von Italien bestimmt. Doch die Generation der Italophilen geht langsam in Pension. Wie lange wird die Vorherrschaft von Parmesan, Prosecco und Parmaschinken noch anhalten?

von BURCHARD BÖSCHE

Wo man sich umsieht in Deutschland, die kulinarische Szene ist italienisch dominiert. „Marcellino’s (!) Restaurant Report“ für Hamburg verzeichnet 36 italienische Restaurants, doppelt so viele wie deutsche. Konditoreien mussten italienischen Eisdielen weichen, der klassische Feinkosthandel hat Läden mit italienischen Spezialitäten Platz gemacht. Bella Italia schafft sie alle.

Eine solche Prognose mag verwegen erscheinen, aber: Es wird nicht so bleiben! Alte Leute erinnern sich noch an Peter Alexander, Salzburger Nockerln und Millionen Besucher in Sissi-Filmen, an das Prestige von Wiener Schnitzel und Sachertorte. Der Glykolskandal war es, der 1985 das morsche Gemäuer der deutsch-österreichischen kulinarischen Beziehungen zum Einsturz brachte.

Fast gleichzeitig ereignete sich der Methanolskandal in Italien. Da ging es nicht um harmlose Frostschutzmittel, sondern um tödliche Weinzusätze. Hier wie da brach der Weinexport nach Deutschland ein. Nur: Während die Österreicher Mühe hatten, ihren Marktanteil wieder zu erreichen, haben die Italiener ihre Lieferungen vervielfacht. Was sind die Ursachen solch unterschiedlicher Entwicklungen?

Woher rührt die kulinarische Dominanz Italiens? Von den Gastarbeitern? Unmöglich, denn die Türken sind zahlreicher. Von der Extraqualität der italienischen Küche? Das ist es nicht, denn die italienische Küche baut auf schlichten Traditionen auf, die türkisch-arabische Küche ist vielfältiger und raffinierter. Weil die Küche gesünder ist? Dieselben Rohstoffe werden rund ums Mittelmeer überall verwendet.

Die Erklärung liegt woanders. Sie liegt in den Strukturen der kulinarischen Kommunikation, in der Entwicklung von Meinungsführerschaft. Die Älteren werden sich erinnern, dass italienische Restaurants in den Fünfziger- und Sechzigerjahren einfachste Pizzerien waren, im unteren Segment des Gastgewerbes. Der Aufstieg des „Ristorante“, verbunden mit einer weitgehenden Verdrängung der gehobenen deutschen und französischen Lokale, fand in den Siebziger- und Achtzigerjahren statt, parallel dazu die Ausbreitung italienischer Spezialitätenläden.

Die Trendsetter waren junge Intellektuelle, Akademiker, die studiert hatten, ins Berufsleben einrückten und langsam zu den Besserverdienenden wurden. Bei ihnen gab es keine Party ohne italienisches Buffet, man konnte billigen Chianti durchaus vom edlen unterscheiden, man tauschte Adressen für Olivenöl, und man kannte sich aus in italienischen Tischsitten, speiste ausgiebig, während die Eltern noch den Halbstundentakt der Kantine gewohnt waren. Italienisch zu können gehörte zum guten Ton, Gramsci im Original zu lesen war das Höchste.

Keineswegs hatten diese Trendsetter nur für den Badeurlaub Italienisch gelernt. Es war Enrico Berlinguer, der Sekretär der Partito Comunista Italiano, von dem in den späten Sechziger- und beginnenden Siebzigerjahren die Faszination ausging. Es war die Politik des eurocomunismo mit der Abwendung von Moskau, die die Anziehung ausübte.

Es waren Kämpfe der italienischen Gewerkschaften, Streiks bei Fiat, die Kundgebung der hunderttausend Metallarbeiter in Rom, die große Teile der studentischen Linken begeisterten, die auf der Suche waren nach Modellen für die Umwälzung der miefigen Bundesrepublik. Unibüchertische waren voll mit Broschüren über Klassenkämpfe in Turin, die Psychiatrie in Arezzo oder die Kommunalpolitik in Bologna.

Die jungen Deutschen studierten das Land und seine Geschichte, kauften verfallene Bauernhäuser und machten sie zu ihrem Feriendomizil. Die „Toskanafraktion“ wurde sprichwörtlich. Doch irgendwann war es vorbei. Berlinguer war tot. Was blieb, war die Kenntnis italienischer Küche und Lebensart. Die „Italiener“ stiegen auf in der gesellschaftlichen Hierarchie, wurden Landgerichtspräsidenten, Rechtsanwälte, Schauspieler und Gewerkschaftsvorsitzende – was einem kulinarischem Marsch durch die Institutionen gleichkam. Sie waren Promotoren jener Bewegung, die dazu führte, dass es heute überall Mozzarella gibt, keine Party ohne Prosecco und in jedem Restaurant Tagliatelle angeboten werden.

Die italienische Nahrungsmittelindustrie hat dieses Wunder ahnungslos, aber geschickt genutzt, sich fette Marktanteile gesichert und beim Wein Preise durchgesetzt, die der Verbraucher für gleich gute deutsche Produkte nie zahlen würde. Aber wie sollen die Herren auch ahnen, was sie Berlinguer verdanken? Doch wie sie ihren Aufstieg nicht verstanden haben, so werden sie ihrem Niedergang verständnislos zusehen.

Denn die Generation der Italophilen geht langsam in Rente, ihre Protagonisten sind Mitte fünfzig bis Mitte sechzig. Trends setzen sie schon lange nicht mehr, und wenn sie von früher erzählen, mag kaum noch jemand zuhören. Viele italienische Restaurants spiegeln die Stagnation wider. Und je weiter verbreitet die Herrschaft der italienischen Küche ist, umso häufiger trifft man auf schlechtes Essen.

Die heutigen Meinungsmacher fahren nicht mehr nach Italien, sondern nach Australien, Neuseeland und Kanada. Sie sprechen kein Italienisch und essen Sushi. Die Italiener sind die Österreicher von morgen. Aber man muss nicht schwarz malen. Vielleicht können sie ihrem Schicksal ja entkommen. Zunächst sei den italienischen Marketingleuten geraten, sich die chinesischen Restaurants in Deutschland anzusehen, damit sie eine Vorstellung vom möglichen Ende der Entwicklung gewinnen.

Dann sollten sie nachdrücklich auf Qualität achten. Es spricht sich nämlich herum, dass Italien für manche seiner teuren Erzeugnisse nur unzureichende Rohstoffe hat, die aus zweifelhaften Quellen importiert werden. Ein Drittel des italienischen Bedarfs an Rind- und Schweinefleisch wird durch Einfuhren gedeckt. Viele italienische Schinken sind in den riesigen Schweinekoben Belgiens und Hollands gewachsen.

Bis aus Brandenburg wird der empfindliche Rohstoff Milch herangekarrt. Wer hat in Italien schon Kühe grasen sehen? Man erzählt von der Umdeklarierung griechischen Olivenöls. Und auf den Etiketten italienischer Fertigprodukte findet man Geschmacksverstärker, die in Deutschland kein anspruchsvoller Verbraucher mehr akzeptiert.

Die Italiener können aber mit einem Pfund wuchern: Sie haben ihre regionalen Nahrungsmitteltraditionen so gut dokumentiert und geschützt, wie es nirgendwo sonst auf der Welt geschieht. Sie erzählen spannende Geschichten über Essen und Trinken. Aber die Geschichten müssen glaubwürdig sein.

Es gibt für die Italiener noch einen Trost: Ein Bann dauert nicht ewig, wie das Beispiel Österreichs zeigt. Heute gibt es in Deutschland wieder eine Österreich-Renaissance. Die Qualität der Weine imponiert, und die Küche findet wieder ihre verdiente Anerkennung. In Hamburg etwa ist Manfred Stockers Restaurant eine der ersten Adressen. Seine Salzburger Nockerln sind himmlisch!

BURCHARD BÖSCHE, 56, ist Rechtsanwalt und Vorstand im Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften. Nebenbei ist er Leiter der Tafelrunde von Slow Food Hamburg