Die Krise lauert in der nächsten Gasse

Politik über den Alltag begreifen: taz-Korrespondent Karim El-Gawhary erzählt vom Leben unter widrigen Umständen

Wer schon einmal in der ägyptischen Hauptstadt Kairo war, weiß, dass die erste Herausforderung darin besteht, eine Straße zu überqueren, in der mehrspurig Blechkiste an Blechkiste klebt. Und der lernt schnell, dass Autofahrer an roten Ampeln nur anhalten, wenn ein Polizist mit einem Block danebensteht – der ohnmächtige Versuch der Staatsmacht, Regeln durchzusetzen und für ein wenig Ordnung zu sorgen. Und wer jemals mit ägyptischen Behörden zu tun hatte, kann das Gefühl der Ohnmacht nachempfinden, das jemanden überkommt, wenn er so einfache Dinge erledigen will, wie ein neues Auto oder ein Kind in der Schule anzumelden.

Taz-Korrespondent Karim El-Gawhary, der seit fast zwanzig Jahren in Kairo lebt, sieht aber noch etwas anderes: die Fantasie und den Witz der Menschen bei der Bewältigung eines irrsinnigen Alltags, nicht verrückt zu werden und die seit 7.000 Jahren bestehende staatliche, kafkaeske Bürokratie auszutricksen.

Dabei lauert die nächste Krise gleich um die Ecke: Die Stadtverwaltung möchte eine Straße verschönern und die kleinen Obst- und Gemüsestände abräumen, die ihren Betreiberinnen ein monatliches Einkommen von umgerechnet 30 Euro einbringt. Im Nildelta kommt es zu Brotunruhen. Die Dachterrasse des Nachbarhauses wird plötzlich in ein Hühnergehege verwandelt, anderswo stürzt ein Gebäude ein, weil Beamte vermutlich geschmiert und weitere Stockwerke gebaut wurden. Und schließlich plärren aus Radio und Fernseher tagtäglich die Meldungen über Krisen und Kriege der Region.

In seinem Buch „Alltag auf Arabisch – Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad“ fasst El-Gawhary Kolumnen aus 15 Jahren über Leben, Erfahrungen und Geschichten von Menschen zusammen, die vor allem in Ägypten spielen. Über manches kann man schmunzeln oder sich an den Kopf fassen, etwa, wenn Arbeiter in einem Kaufhaus damit beauftragt werden, ein Regal zu streichen, und die ausgelegte, in Plastik verpackte Bettwäsche gleich mitstreichen.

Aber bei den unterhaltsam geschriebenen Stücken geht es durchaus auch um ernsthafte Dinge, wie etwa den erwähnten Kampf der Händlerinnen um ihren einen Euro täglich, Umweltprobleme jenseits jeder Schadstoffgrenze, den Kulturkampf im Kinderzimmer um das vorgeblich islamisch korrekte Spielzeug und immer wieder den Umgang mit der Staatsmacht.

Als Korrespondent in der Region war El-Gawhary auch in Krisen- und Kriegsgebieten unterwegs. Diese Erfahrungen werden in den beiden letzten Kapiteln, „Medienrummel“ und „Kriegsdepeschen“, zusammengefasst. Schauplätze sind der Irak und der Libanon, wobei in diesen Abschnitten auch Porträts und Reportagen aufgenommen wurden. Neben einer Reflexion der eigenen Arbeit, etwa der „journalistischen Achterbahn“ bei der Berichterstattung aus Bagdad, kommen auch hier Menschen zu Wort, die meist ungewollt Opfer der Verhältnisse geworden sind. Das Schicksal einer irakischen Familie, die sich inzwischen ein neues Leben in Kairo aufgebaut hat, wird ebenso geschildert wie das der Dorfbewohner im Südlibanon nach israelischen Angriffen im Sommer 2006.

Diese Geschichten sind es, die den Autor interessieren. „Mit dem Blick auf die Alltagsfacetten wird das politische Geschehen nachvollziehbarer als durch manche Analyse und ganz sicher als durch jeden Nachrichtenbericht“, schreibt El-Gawhary in seiner Einleitung. „Insofern ist dies auch ein politisches Buch, ganz nah am Leben.“

BEATE SEEL

Karim El-Gawhary: „Alltag auf Arabisch. Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad“. Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 2008, 224 Seiten, 19,90 Euro