DIE GRÖSSTE EUROPÄISCHE MINDERHEIT MUSS SICH BESSER ORGANISIEREN
: Erster Roma-Gipfel in Brüssel

Was gibt es Praktischeres fürs fahrende Volk, als in einem Europa ohne Schlagbäume ungehindert von Ort zu Ort zu ziehen? Mit dieser Zigeunerromantik immerhin räumt der erste Europäische Roma-Gipfel in Brüssel gründlich auf. Für die Roma in Osteuropa hat sich die Lage seit dem Zerfall der Sowjetunion nicht nur ökonomisch verschlechtert. Seit dem Beitritt von zehn osteuropäischen Ländern zur EU haben auch sexueller Missbrauch von Roma-Kindern und ihre Ausbeutung als Autowäscher, Bettler und Handlanger in organisierten Diebesbanden stark zugenommen.

Ein Europa ohne Grenzen braucht eine Gesetzgebung gegen Diskriminierung, die in allen europäischen Mitgliedsstaaten angewendet wird. Wie viel hier im Argen liegt, zeigt der Stapel an Petitionen und Aufrufen, der gestern im Konferenzzentrum in Brüssel auslag: Zwangssterilisation von Roma-Frauen in Slowenien, Ausweisungen nur aufgrund der Volkszugehörigkeit in Bulgarien, Italien und Griechenland, Sonderschulen für Romakinder in Ungarn und die Speicherung von Fingerabdrücken aller Bewohner von „Nomadencamps“ in Italien sind nur einige Beispiele.

EU-weit geltende Richtlinien gegen diese Formen der Diskriminierung gibt es natürlich längst. Doch es hapert an der Umsetzung. Die EU-Kommission beschränkt sich leider meist auf mahnende Appelle. So erinnerte Kommissionspräsident Barroso bei seinem letzten Besuch in Italien an die humanitäre und christliche Tradition des Landes. Für ein Vertragsverletzungsverfahren sieht die Kommission keine gesetzliche Grundlage, da nicht nur die Fingerabdrücke von Roma, sondern von allen Nichtsesshaften gespeichert werden.

Diskriminierung lässt sich schwer beweisen, das gilt nicht nur, wenn Roma die Leidtragenden sind. Doch im Vergleich zu anderen Minderheiten sind sie auf EU-Ebene besonders schlecht organisiert. Knapp hundert unterschiedliche Roma-Organisationen waren beim Gipfel in Brüssel vertreten. Ihre Zersplitterung macht es der Politik leicht, die Interessen der größten europäischen Minderheit zu übersehen. DANIELA WEINGÄRTNER