Drahtseilakt in Glas

Die neuen BDA-Preisträger (2): Der Umbau des Zentralbereichs der Universität Bremen durch den Hamburger Architekten Jan Störmer

Der Geist der „Attraktivierung“ treibt manchmal schöne BlütenDetail für Slapstick-Freunde: automatischeTüren neigen zu Defekten

Zweifellos, sie kann sich sehen lassen, die neue Uni-Halle. Und auch die Jury des Bundes der Architekten (BDA) konnte ihrem Eindruck nicht widerstehen – der Entwurf des Hamburger Architekturbüros Jan Störmer gehört zu den vier Preisträgern des vergangenen Jahres.

Nicht zu Unrecht: Ausgesprochen fotogen ist die von überschlanken V-förmigen Stützenpaaren getragene fünfzehn Meter hohe Super-Vitrine, das gläserne Entree zum Zentralbereich der Bremer Universität. Ihre großflächige, verglaste Hauptfassade, die an eine vertikal vorgespannte Drahtseilkonstruktion angehängt ist, kann man getrost „spektakulär“ nennen. Bei Sturm baucht sie nach innen, fast wie ein Segel.

Jan Störmer und sein Team hatten für diese Konstruktion keinen geringeren als den Glas-Spezialisten Werner Sobek gewinnen können. Der Stuttgarter Ingenieur hat erst kürzlich mit seinem ultratransparenten Stuttgarter High-Tech-Wohnhaus für Furore gesorgt.

Kurz, die neue Uni-Halle funktioniert ganz in dem Sinn, den Kommunalpolitiker gern mit „Attraktivierung“ umschreiben. Im Grunde geht es in solchen Fällen darum, mit Baumaßnahmen ein Image aufzupolieren. Und da gab es an diesem Ort auch einiges nachzuholen.

Denn während im Umfeld der Uni der Technologiepark wuchs und vom neuen technisch-naturwissenschaftlichen Schwerpunkt kündete, sah es im Zentrum immer noch wie Mitte der siebziger Jahre aus: Mit dem Betonfertigteil-Konstruktionen verknüpfte sich unwillkürlich das Image der „linken Kaderschmiede“.

Weil die zur Uni verlängerte Straßenbahnlinie ohnehin Baumaßnahmen erforderlich machte, wurde 1994 ein Wettbewerb ausgeschrieben. Dessen Ziel war die die komplette Neuordnung des Zentralbereichs. Ausdrücklich erwartet wurden von der neuen Architektur „zeichenhafte Eigenschaften“.

Letzteres ist dem siegreichen Jan Störmer, der damals noch mit seinem Londoner Partner Will Alsop zusammen arbeitete, besonders gelungen. Seine Neubauvorschläge – und allen voran die Uni-Halle – lassen sich unschwer als bauliche Antithesen zur wuchtigen Siebzigerjahre-Architektur erkennen.

Das wird gerade dort am deutlichsten, wo sich Alt- und Neubauteile berühren: schwere Beton-Brüstungsbalken gehen über in transparente Metallgeflechte, klare Primärfarben kontrastieren zum Grau des Betons, ein lichtes und luftiges Raumarrangement ersetzt düstere Fertigteilstrukturen. Die Leichtigkeit und Dynamik des Ausdruck obsiegen über eine bodenhaftende Schwerfälligkeit.

Allerdings ist diese Symbolik durchaus ambivalent, wo nicht problematisch. So berufen sich die Baumeister bei der Uni-Halle auf das Bild eines Flughafens oder Bahnhofs. Auf klassische Orte des Übergangs also: Orte der kurzen Verweildauer.

Wäre das ein architektonischer Wink mit dem Zaunpfahl für diejenigen, die glauben, Studieren sei ein wichtiger Lebensabschnitt, der eine gewisse Dauer beanspruche? Vielleicht liegt es ja an der demonstrativen Coolness der Halle, dass sich in dem stickigen Labyrinth des Geisteswissenschaften II-Gebäudes noch immer leichter ein urbanes Milieu zu entfalten vermag.

Gänzlich ins Hintertreffen gerät aber das, was man im Planerjargon als „Aufenthaltsqualität“ bezeichnet, auf dem neu gestalteten so genannten „Boulevard“, der erhöht liegenden Hauptverbindungsachse zwischen Mensa und Vorlesungsgebäude.

Hier setzt ein schmales lineares Dachelement ein dynamisches Zeichen. Als Witterungsschutz ist es demgegenüber weniger geeignet.

Zwar wirkt im Vergleich zurvorherigen dunklen Betonüberdachung nun alles lichter. Auch kommen einzelne Baukörper als „Individuen“ effektvoll zum Tragen. Bei typisch bremischem Wetter gilt aber: verweile kurz.

So sind die vom Wasser unterspülten klappernden Pflasterziegel eher Symptome als Schönheitsfehler des schönen neuen Zentralbereichs. Dass in der hypermodernen Uni-Halle ständig einige der automatischen Türen nicht funktionieren und vom Hausmeister mit Zetteln beklebt sind, auf denen „Tür defekt! Bitte andere Tür benutzen“ steht, hätte Jacques Tati sicher zu einer schönen Filmszene inspiriert.

Aber den Eindruck der Halle zerstören kann das nicht: Daher auch das Votum der BDA-Jury. Den Preis sprach sie dem Bauwerk für die selbstverständliche und selbstbewusste Verbindung zwischen alt und neu zu.

Eberhard Syring