Die verfrühte perfekte Mannschaft

Die deutschen Hockeyspieler holen zum dritten Mal Olympiagold und suchen nun nach neuen Träumen

PEKING taz ■ Der Mannschaftsbus fuhr die Lincui-Straße hinunter, weiter als 500 Meter vom Hockeystadion weg war er noch nicht gekommen. Auf dem schlecht beleuchteten Weg tauchten zwei Hockeyfans auf, die deutsche Fahne um den Hals geknotet. Da bremste der Mannschaftsbus. Die Tür ging auf, und die deutschen Nationalspieler riefen den beiden zu: Los, einsteigen und mitkommen zur Siegesfeier! Sie wollten nur etwas abgeben von ihrem Glück. Die Mannschaft wurde am Samstag mit dem 1:0-Sieg im Finale über Spanien Olympiasieger, obwohl sie noch in der Wachstumsphase zu stecken schien.

In zwei Pekinger Wochen ist sie plötzlich erwachsen geworden. Man hängt im Sport gerne der Illusion an, Mannschaften müssten über Jahre reifen, doch Turniere wie Olympia schenken talentierten Teams die Chance, sich von der Dynamik der Spiele tragen zu lassen. Die Welle ergriff die Deutschen. Begeisternde Talente wie Verteidiger Max Müller, 21, oder Spielmacher Tobias Hauke, 20, entfalteten sich, ordentliche Helfer wie Sebastian Biederlack agierten nun tadellos, Tibor Weißenborn war nicht mehr nur erfahren, sondern ein Anführer. Sie haben – noch – keine Ausnahmespieler. Und trotzdem schien angesichts ihrer Aufführungen ihr Sieg logisch, das dritte Gold für eine deutsches Männerelf nach 1972 und 1992. Sie sind in einem Sport, der zum Konterspiel verkommt, neben den Niederländern die Einzigen, die noch Kombinationshockey spielen, und sie verteidigten in Peking mit elektrisierendem Geschick. Es ist das schönste Rätsel des Teamsports: Wie beginnt ein Team zu funktionieren?

Bundestrainer Markus Weise zog sich bei der Siegesfeier in den Speisesaal des Hotels zurück. Er ist, mit gerade 42, nun der erste Trainer, der mit den Frauen wie den Männern Olympiasieger wurde. 2004 bei den Frauen in Athen habe er „so ein Uuups!“ gespürt, so unerwartet kam der Sieg. „Diesmal ist es anders toll: zu denken, wenn alles klappt, könnten wir gewinnen, und es dann hinzukriegen.“ Er hatte eine Antwort auf die Frage nach dem Wie: „Durch viele Fehler, viele Versäumnisse“ habe er diese Elf gebaut. Das war nur halb ein Scherz.

Niederlagen sind oft das Beste, was einem guten Trainer passieren kann: Er sieht dann klarer. Weise stürzte in seinem ersten Turnier als Männertrainer ab, Vierter, so schlecht wie noch nie, wurde Deutschland bei der EM 2007. Es gab Weise den Mut zur Veränderung. Er tauschte nicht nur Spieler und ihre Positionen aus, „ich bewegte mich auch selbst“. Er hat dieses Ideal von einem Team, das viel selbst regelt, wo der Trainer nicht alles vorgeben und überwachen muss, ob da immer dieselben drei beim Essen zusammensitzen und sich andere ausgegrenzt fühlen.

Um fünf am Morgen tanzten die Spieler auf dem Podium, die Menge zu ihren Füßen. Was den Bundestrainer antreibt, ist weniger der öffentliche Ruhm als die immerwährende Suche nach der perfekten Mannschaft. Und da lebt er im Gefühl, bei der Männer-Nationalelf doch erst angefangen zu haben; das Gold hatte es bloß eilig, zu ihnen zu kommen. Es bleiben also auch als Olympiasieger aller Hockeyfelder noch Träume? Er lächelte. „Ich werde mir einen neuen ausdenken.“ RONALD RENG