Ästhetik der Narben

J. Henry Fair will mit seinen Fotos Menschen bewegen, gegen Umweltzerstörung aufzubegehren

J. Henry Fair, der New Yorker Fotograf, verdient sein Geld damit, „schöne“ Porträts zu kreieren. In seinem Studio sitzen die Stars der klassischen Musikszene der Metropole: Dirigenten, Instrumentalisten, Operndiven. Allerdings fotografiert Henry Fair auch „hässliche“ Sachen: Vor zehn Jahren begann er, die Erde aus der Luft überall dort zu fotografieren, wo der Mensch „ihr etwas antut“.

Dieser Tage hat Fair in Strausberg bei Berlin eine Cessna bestiegen, um über die Lausitz in Südbrandenburg zu fliegen. „Ich habe in North Carolina fotografiert. Über Kanada. Ich war über Spanien, in Polen, Louisiana. Aber das hier ist doch etwas sehr Besonderes“, sagt Fair, der die Frage, wie alt er denn sei, mit dem Hinweis beantwortet, dass er aufgehört habe, mitzuzählen. Derart riesige Wunden in der Erde aber – „Deutschland ist eine Reise wert“.

Der New Yorker will mit seinen Fotos aufrütteln, Politik machen. „Ich will die Leute mit den Realitäten konfrontieren und sie in die Lage versetzen zu sagen: So nicht mehr“, sagt Fair. „Wir müssen den politischen Prozess grundlegend ändern. Wir müssen die Politiker dazu bringen, für Menschen Politik zu machen, nicht für Konzerne und ihre Lobbys.“ Europa feiere Barack Obama wie einen Heilsbringer, „aber auch der wird nicht Politik für Menschen machen, sondern für jene Geldgeber, die seinen Wahlkampf finanziert haben“.

Anfangs war es sein Interesse an großen Maschinen, das ihn zu dieser Fotografie brachte. „Das hat eine lange Tradition, schon die Bauhaus-Boys fotografierten monströse Maschinen.“ Bei Fair mischt sich aber der Umweltaspekt mit hinein: „Die Zivilisation hat Nebenwirkungen – nur leider fragt so gut wie niemand danach. Und zu sehen sind sie in der Regel auch nicht.“ Deshalb zeigt er Maschinen, etwa Absetzbagger, in ihrem zerstörerischen Umfeld – und die Folgen ihres Tuns.

„Anspornen lassen sich Menschen nur von Dingen, die sie ergreifen“, sagt Fair. Ergreifend findet er die riesengroßen Tagebau-Restlöcher in der Lausitz, die Abraumbrücken, das Farbenspiel der geschändeten Erde. Diese Ergriffenheit zu transportieren, das nennt Fair seine Obsession: „Wenn Gott uns mit mehr Hurrikanen gesegnet hätte, dann hätten wir auch einen besseren Präsidenten“, meint der Fotograf. Die USA hätten den Zweiten Weltkrieg entschieden. In nur fünf Jahren habe sein Land die Atombombe entwickelt. Binnen zehn Jahren gelang eine Mondlandung – „aber ein Elektroauto zu bauen, das schaffen wir nicht“.

„Weil wir es nicht wollen“, sagt Fair. Habe das Amerika des George W. Bush den Klimawandel schlichtweg ignoriert, so werde ein Amerika eines John McCain diesen zwar anerkennen, aber ihm mit bis zu tausend neuen Atomkraftwerken begegnen wollen. Deshalb wird Fair trotzdem Barack Obama wählen. „Tausend neue Atomkraftwerke und die Folgen – das gibt zwar sicher ganz gute Bilder. Aber wer will das schon.“ NICK REIMER