Die Welt im Turm

1851 wurde das Konzept der Weltausstellung in London geboren, damals auf Anregung des britischen Königshauses. Während die Expo in ihren Anfängen vor allem eine Vitrine für die technische Neuerungen in den beteiligten Ländern war, entwickelte sie sich über die Jahrzehnte hinweg auch zu einer Referenz für Architektur und legt heute immer mehr Wert auf gelungenes Infotainment mit Konzerten und Shows für das breite Publikum. Deutschland, seit 1932 Mitglied beim Bureau International des Expositions in Paris, beteiligt sich regelmäßig an den Messen. Zuletzt hat es die Expo 2000 in Hannover ausgerichtet. Die nächste Weltausstellung findet in zwei Jahren in Schanghai statt. Dann heißt das Motto „Better city – better life“. RR

AUS SARAGOSSA RUTH REICHSTEIN

Von der hohen Decke baumeln Benzinkanister – rot, gelb, blau, grün. Darunter, im Amphitheater, schauen einige Dutzend Besucher einen Film auf einer riesigen Leinwand. Er erzählt die Geschichte der Wasserindustrie Spaniens. Fernando Rivarés steht am Rand des Kinorunds und lächelt. „Die Leute interessieren sich für unsere Botschaften, sie kommen zu El Faro“, sagt er. El Faro, Leuchtturm, heißt der Pavillon der Nichtregierungsorganisationen auf der Expo im spanischen Saragossa. Fernando Rivarés, der für die spanische Organisation Ecología y Desarollo (Ökologie und Entwicklung) arbeitet, ist ihr Sprecher.

Seit Mitte Juni hat die Expo 2008 ihre Pforten geöffnet. In diesem Jahr lautet das Motto „Wasser und nachhaltige Entwicklung“. Und zum ersten Mal in der Geschichte der Weltausstellung haben Nichtregierungsorganisationen einen eigenen Pavillon bekommen, hier dürfen sie unter eigener Regie tun und lassen, zeigen und anprangern, was und wen sie wollen.“ Die Pavillons der großen Staaten sind gefüllt mit Lügen und Halbwahrheiten“, erklärt Rivarés das Anliegen der NGOs, „eine politische Debatte fehlt völlig. Es ist eine rein touristische Attraktion.“

Besonders heftig kritisieren er und seine Mitstreiter die Präsentationen von China und Argentinien. Beide Länder sind nicht gerade für ihren umweltfreundlichen Umgang mit der Ressource Wasser bekannt. In China wird ein Staudamm nach dem anderen gebaut – und dabei wird nicht nur Natur zerstört, sondern auch Dörfer werden dem Boden gleichgemacht oder von der Wasserversorgung abgeschnitten. „Aber in seiner Ausstellung zeigt China natürlich ausschließlich die Vorteile dieser Politik, stellt sich als eines der fortschrittlichsten Länder dar, wenn es um den Umgang mit Wasser geht“, schimpft Rivarés.

Maria José Zalazar wischt sich verschämt die Wuttränen aus den Augen. Die 44-Jährige hat gerade den Lateinamerika-Pavillon besucht. Darin präsentiert sich auch ihr Heimatland Argentinien. Ein Werbefilm zeigt die schönsten Ecken des Landes mit dichtem Dschungel, hohen Bergen und der pulsierenden Metropole Buenos Aires, die Organisatoren haben Palmen pflanzen lassen. „Ich kann darüber nur den Kopf schütteln“, sagt Maria José Zalazar, „mit unserer Wirklichkeit hat das gar nichts zu tun.“ Sie ist eines der Opfer von Staudämmen und Minen, die die NGOs von El Faro aus aller Welt nach Saragossa eingeladen haben, um hier von ihren Schicksalen zu erzählen.

Maria José Zalazar ist Schuldirektorin in Jàchal, einem Dorf, das auf der Nordseite der Anden liegt, die das Land durchziehen. Mit dem Wasser des Flusses, der den gleichen Namen trägt wie ihr Dorf, fließen die Abwässer aus einer Goldmine in die Ebene, die 150 Kilometer entfernt im Gebirge liegt. „Die Zahl der Krebskranken und Fehlgeburten in unserem Dorf nimmt seit Jahren stetig zu“, erzählt sie, „aber niemand untersucht den Zusammenhang mit der Mine. Dabei kann man im Wasser verschiedene Schwermetalle und Öl nachweisen.“

Sie selbst kauft ihr Trinkwasser mittlerweile ausschließlich abgefüllt, aber viele in ihrem Dorf können sich das nicht leisten, sie sind weiterhin auf das Wasser aus dem verschmutzen Fluss angewiesen. „Hier auf der Expo erzählen sie, Minen und Staudämme seien gut für die Bevölkerung, aber sie nützen nur den Reichen.“

Maria José Zalazar hofft, dass die Weltausstellung wenigstens ein bisschen mehr Aufmerksamkeit bringt für die Opfer von nichtnachhaltiger Wasserpolitik. Nach Schätzungen der UNO mussten bisher zwischen 40 und 80 Millionen Menschen allein dem Bau von Staudämmen weichen. „Wir wollen uns zu einer weltweiten Bewegung zusammenschließen“, meint Zalazar. „Noch hört uns niemand zu, aber lange können die Regierungen vor unseren Problemen nicht mehr die Augen verschließen.“

Sie hoffen, dass die Expo etwas ändern könnte im Umgang mit Wasser – in Spanien und anderswo

Nicht alle in Saragossa sind so zuversichtlich wie die Argentinierin. Auf der mittelalterlichen Steinbrücke, die über den Ebro, den Fluss in der Stadt führt, hat sich ein Dutzend Expo-Gegner versammelt. Sie tragen dunkelblaue T-Shirts mit der Aufschrift „Expo no“ und haben gelbe und grüne Plastikeimer mitgebracht. Mit einem Gartenschlauch füllen die Gegner der Weltausstellung ihre Behälter und kippen das Wasser mit kräftigem Schwung zurück über das Geländer in den Fluss. „Für die Expo haben sie den Fluss vergewaltigt“, sagt Rosa Aznar Garcia und stellt ihren leeren Eimer zurück auf den Boden. „Der Ebro ist von einem natürlichen Mittelmeerstrom zu einem Kanal geworden. Wir wollen ihm wenigstens symbolisch ein bisschen was an Wasser zurück geben“.

Tatsächlich ist der Ebro vor Expo-Beginn begradigt und vertieft worden, damit die Touristenboote von der Altstadt bis zum Ausstellungsgelände fahren können. „Wie kann die spanische Regierung eine Ausstellung mit dem Titel ‚Wasser und nachhaltige Entwicklung‘ veranstalten und selbst solch eine Umweltzerstörung betreiben?“, fragt die Umweltaktivistin.

Aber sie haben die Hoffnung noch nicht verloren, dass die Expo doch etwas ändern könnte im Umgang mit Wasser – in Spanien und in anderen Ländern. In einem Konferenzzentrum finden regelmäßig Veranstaltungen rund um Wasserpolitik statt, später wollen die NGOs ein gemeinsames Papier an die Vereinten Nationen, die Europäische Union und die spanische Regierung schicken mit ihren Forderungen für einen nachhaltigen Umgang mit der kostbaren Ressource.

Fernando Rivarés schlendert an den Ausstellungswänden im Leuchtturm vorbei. Statt spanischer Spezialitäten gibt es hier Produkte aus fairem Handel: Kaffee, Kakao, Handtaschen und Geldbörsen. Das Geschäft geht gut. „Wir hatten gedacht, unser Vorrat würde für die gesamten drei Monate reichen, aber wir mussten schon nach zwei Wochen nachbestellen“, freut er sich. Mehr als 200.000 Besucher sind bereits in den Leuchtturm gekommen. Der Stolz darüber schwingt in der Stimme des zierlichen Spaniers. Für ihn ist die Besucheranzahl ein klares Zeichen für den Erfolg der NGOs. Ein Erfolg, der noch ausbaubar wäre – seit der Eröffnung Mitte Juni sind zur Weltausstellung täglich 45.000 Besucher nach Saragossa gekommen.