die lage in leopoldstadt
: In Vergessenheit

Bisher haben wir an dieser Stelle die Lage am Lago Maggiore erörtert, heute konzentrieren wir uns einmalig aufs Geschehen in Wien-Leopoldstadt, zweiter Gemeindebezirk der Stadt und Standort des Ernst-Happel-Stadions. In und um die Sportschüssel aus den 50er-Jahren tummeln sich in diesen Tagen tausende von Teilzeitpatrioten. Gut drauf sind sie. Sie skandieren „Immer wieder, immer wieder, immer wieder Österreich“ oder das ubiquitäre „…schland, …schland“. Sie haben natürlich keinen Blick für eine kleine grau-schwarze Tafel, die Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) vor fünf Jahren enthüllt hat – wie sollten sie auch, hängt die Tafel doch nicht an einem öffentlich zugänglichen Ort, sondern schön verborgen in der Ehrenloge des Runds.

AUS WIEN MARKUS VÖLKER

„Zum Gedenken“ steht da, und in goldenen Versalien: „An die über tausend in Wien lebenden Juden, die im September 1939 im Praterstadion inhaftiert, rassistisch-anthropologisch untersucht und anschließend in das KZ Buchenwald deportiert wurden. Fast alle wurden ermordet.“ Die Gefängnisse waren seinerzeit nach einer Verhaftungswelle bereits voll, deswegen wurden die Wiener Juden von Schergen der Nazis ins Praterstadion verschleppt. Die Gefangenen waren in den Gängen von Sektor B unterhalb der Tribünen inhaftiert. Es heißt, dass sie einmal am Tag Suppe erhielten und ein Stück Brot, nächtigen mussten sie auf Stroh – drei Wochen lang. Eine „anthropologische Kommission“ des Naturhistorischen Museums Wien nahm in dieser Zeit „rassekundliche“ Untersuchungen vor.

Nun lebten in Wien, und vor allem in dem Stadtteil Leopoldstadt, nicht nur 1.000 Juden, sondern beträchtlich mehr. In der Leopoldstadt kulminierte das jüdische Leben Wiens. Aber spätestens seit der Amtszeit von Karl Lueger, der bis 1910 Bürgermeister von Wien war, schossen antisemitische Vorbehalte ins Kraut. Bis heute ist Lueger („Wer ein Jude ist, bestimme ich!“) eine anerkannte historische Figur in Wien und Österreich. Just die Straße vorm Parlament trägt seinen Namen; der Doktortitel darf dabei natürlich nicht fehlen.

Es gehört offenbar zur österreichischen Geschichtsvergessenheit, dass man Gedenktafeln dieser Art nur in geschlossenen (VIP-)Bereichen anbringt, Antisemiten jedoch ungleich öffentlicher ehrt.