heute in bremen
: Die Erosion der Arbeiterklasse

Ein Soziologieprofessor vergleicht Armuts-Struktur (Prekarität) in Deutschland und Frankreich

taz: Herr Schultheis, Sie kommen nach Bremen, um über Prekarität zu sprechen. Der Begriff kam plötzlich auf und ist in aller Munde...

Franz Schultheis, Professor für Soziologie an der Universität St. Gallen: ...ja, eine erstaunliche Karriere. Ich versuche zu zeigen, woher der Begriff kommt und was er eigentlich bedeutet.

Nämlich?

Ursprungsland ist Frankreich, dort steht Prekarität für verschiedene gesellschaftliche Ausprägungen. Etwa die Jugendarbeitslosigkeit und die Unruhen in den Vorstädten. Oder die Erosion des Arbeitnehmerstatusses, die neue „Unsicherheit nach den Sicherungen“. Menschen waren daran gewöhnt, sozial abgesichert zu sein, und bleiben schutzlos im kalten Wind des Kapitalismus alleine zurück. Auch das Ende der Arbeiterklasse hat damit zu tun: schrumpfende Gewerkschaften, eine Erschütterung des Selbstbildnisses des einst stolzen Arbeiters.

In Deutschland wird unspezifisch mit dem Begriff Prekarität operiert. Können wir von den Franzosen lernen?

Dort scheinen mir diese komplexen Zusammenhänge viel besser erforscht. In Deutschland hinken die Sozialwissenschaften da hinterher. Im Prinzip wurde der Begriff über den Rhein exportiert, aber dan ganz anders verwendet.

Wähnten wir nicht, die „soziale Frage“ schon hinter uns gelassen zu haben?

So sah es aus. Das Wirtschaftswunder ermöglichte relativ breite Teilhabe am Wohlstand. Das ist nicht mehr so. Diese Verunsicherung steht im Zentrum der Diskussion rund um Prekarität.

Fragen: FEZ

20h, Arbeitnehmerkammer, Bürger 1