„Die Anmutung reicht ihnen schon“

Gewöhnliche Talente suchen nach Jobs. Bessere wollen auch noch einen Lebensmittelpunkt, der schwer nach Urbanität und „schöpferischer Zerstörung“ aussieht. Bremen ist da nicht die erste Wahl. Das soll die Stadt „Beschäftigungseffekte“ kosten.

Björn Bloching ist Unternehmensberater und Partner bei Roland Berger Strategy Consultants in Hamburg und Experte für Stadtentwicklung. In der vergangenen Woche sprach er auf Einladung der Hochschule Bremen zum Thema „Städte im Wettbewerb – Chancen für Bremen.“

Interview: Christian Jakob

Interview: Herr Bloching, Bremen soll ein Problem damit haben, „Kreative“ an sich zu binden. Ist die Stadt zu langweilig?

Björn Bloching: Sie müssen mit den Begriffen aufpassen. „Kreative“ im landläufigen Sinn, das sind Angehörige bestimmter Berufsgruppen, die man als „Kreativwirtschaft“ zusammenfasst: Werber, Architekten und Ähnliches. Die kreative Klasse, die wir im Blick haben, ist größer. Damit ist der Teil der Beschäftigten gemeint, der etwas Neues hervorbringt: der forschende Arzt beispielweise, der Entwicklungsingenieur oder der Journalist.

Warum sind die so wichtig?

Sie sind gewissermaßen Ausdruck der Wissensgesellschaft, ihre Zahl wächst und sie schaffen die Beschäftigungseffekte. Um für diese Leute attraktiv zu sein, muss man nicht unbedingt eine Hochburg der Kreativwirtschaft sein.

Sondern?

Toleranz, und etwas das man als Urbanität oder Bohème charakterisieren könnte, sind genauso wichtig wie Technologie. Deshalb kann auch eine florierende Maschinenbauindustrie mit der entsprechenden Forschung zu den Faktoren gehören, die eine Region für die kreative Klasse interessant machen.

Für einen Maschinenbauingenieur ist ein alternatives Flair wichtig? Der zieht doch zuerst einmal dahin, wo er Arbeit findet.

Grundsätzlich haben sie natürlich Recht, für viele Menschen gilt nach wie vor: People follow Jobs. Ein Ingenieur mit einem mittelmäßigen Abschluss, der geht auch nach Osnabrück, wenn er bei Karmann den passenden Job findet. Da sollen ja die glücklichsten Menschen leben. Dennoch entspricht die Stadt kaum den Maßzahlen der kreativen Klasse. Aber für die hervorragend Ausgebildeten, oft mit einem hohen Maß an Gründungsinteresse, steht die Frage: Wo möchte ich leben? im Vordergrund. Für einen Berater, einen Fotografen oder einen Web 2.0-Unternehmer ist es beruflich relativ egal, wo er lebt. Aber wenn er die Wahl hat, dann spielt ein attraktives Lebensumfeld eine Rolle. Und das macht eben das Vorhandensein einer lebendigen Subkultur, einer aktiven, innovativen Kunstszene aus.

Eine Art „Schanzenviertel-Faktor“?

Ja.

Unternehmensberater werden also von Konzerten in besetzten Häusern oder Aufführungen von freien Theatern angezogen?

Ja und Nein. Diese kulturellen Angebote selber sind vielen der Hochqualifizierten nicht besonders wichtig. Das haben wir genau untersucht. Was sie aber unbedingt an ihrem Lebensmittelpunkt haben wollen, ist die Anmutung dieser kulturellen Urbanität. Die Städte sollen ihnen das Gefühl geben, an einem solchen Ort zu leben. Wir sehen es bei uns: Die Berater, die sich ihren Wohnsitz ja aussuchen können, wollen sehr häufig in die Zentren von Berlin oder Hamburg. Aber das gilt eben nicht für alle Mitglieder der kreativen Klasse: Dem Airbus-Ingenieur, der in Buchholz in der Nordheide im Grünen lebt, ist das Flair des Schanzenviertels meist nicht so wichtig.

Diese „Anmutung“, was macht die aus?

Ein Ort muss eine innere, soziale Dynamik ausstrahlen, Prozesse schöpferischer Zerstörung müssen ablaufen. Man braucht kreative Brutplätze, die Raum schaffen für spontane Entwicklungen.

Oder für solche, die den Eindruck erwecken, als seien sie spontan?

Um die besagte kreative Klasse glücklich zu machen, reicht schon ein recht kleiner Teil künstlerisch schöpferischer Menschen aus. Die siedeln sich aber nur an, wenn der Ort tatsächlich urban und offen ist. Insofern ist diese Entwicklung in rein artifizieller Form nicht zu haben.

Welche Städte haben denn eine solche Anziehungskraft?

Es gibt drei Typen von Städten: Solche, die vor Urbanität und Toleranz geradezu brummen, wie Berlin und Barcelona. Die haben keine technologisch-industrielle Basis, gelten aber bei Hochqualifizierten als extrem attraktiv. Solche Städte müssen ihre industrielle Basis aufbauen, und so die Talente, die zuhauf in ihre Stadt strömen, über attraktive Jobs an sich binden.

Und der zweite Typ?

Bei denen ist es umgekehrt. Sie haben eine große Technologiebasis, aber keinen besonderen Urbanitätsgrad. Sicher gehen viele Talente nicht deswegen nach Stuttgart, weil man die Stadt besonders lässig oder subkulturell findet. Hier muss das urbane Flair oben drauf kommen, um auch international – also etwa im Wettbewerb mit Kopenhagen oder Dublin – die besten Talente anzuziehen. Das ist eine ziemlich anspruchsvolle Aufgabe.

Was ist mit Bremen?

Bremen und Hamburg gehören in die dritte Kategorie. Sie liegen dazwischen. Sie sind nicht überragend kreativ und nicht besonders mit Technologie gesegnet. Bremen hat große Schwierigkeiten, seine kreative Klasse an sich zu binden, wie unsere Untersuchungen zeigen. Die Stadt muss den dort lebenden Talenten – oft Studierende – ein noch attraktiveres Lebensumfeld bieten und stärker ins Suchfeld der dort nicht lebenden Hochqualifizierten geraten.

Was fehlt denn hier?

Bremen hat, gemessen an seiner Größe, durchaus Einrichtungen der Hochkultur, die ihre Qualitäten haben. Aber das ist nicht so wichtig für die Standortwahl der kreativen Klasse.

Sondern?

Muss man in beide Richtungen tätig werden: Man muss die vorhandene Technologiestärke ausbauen und an Urbanität und Dynamik gewinnen.

Wie stellt eine Stadt so etwas an?

Das ist auch eine Frage der Subkultur...

...die kaum im Planungsbüro entsteht.

Es hilft aber, wenn man beispielsweise nicht zu restriktiv bei der Zulassung von Proberäumen für Bands ist. Oder wenn man dort, wo sich Atelierflächen ansiedeln sollen, im Baurecht oder beim Brandschutz großzügiger ist, in die Richtung kann man schon gehen. In Deutschland sind Immobilien ja immer ein extrem stark reglementierter Bereich, da hilft es sehr, wenn man die Zügel loslässt. Man muss günstigen Wohnraum in für Studierende neuen, potentiell attraktiven Lagen ausweisen und falls nötig auch subventionieren. In Hamburg versucht man diese Dinge, um in Veddel und Wilhelmsburg Entwicklungen anzustoßen.

Sie sprechen von Dingen, die eine Stadt „tun muss“. Das, was Friedrichshain oder Prenzlauer Berg ausmacht, ist aber genau dadurch entstanden, dass es Deregulierung gab. Der Staat hat sich zurückgehalten.

Es ist eine Gratwanderung zwischen Einmischung, beispielsweise durch Subvention, und sich als Stadtregierung zurücknehmen können.

Glauben Sie, dass eine originäre Subkultur ein Interesse an einer solchen Instrumentalisierung hat?

Hier ist Einfühlungsvermögen gefragt. Die Stadtregierung muss verstehen, wie diese Klasse lebt. Natürlich hat diese Gruppe eben kein Interesse daran, dass man sich zu viel einmischt.