„Die Kinder wurden als Deutsche geboren“

Der Berliner Senat ist zu „hart und rigide“ bei der Rücknahme der deutschen Staatsbürgerschaft, sagt Rechtsanwalt Rüdiger Jung. Durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts gegen die Innenverwaltung sieht er sich bestätigt

RÜDIGER JUNG, 60, ist seit 1978 Anwalt und auf Ausländer- und Staatsangehörigkeitsrecht spezialisiert.

taz: Herr Jung, Sie haben für eine kurdisch-libanesische Familie einen Prozess gegen die Berliner Ausländerbehörde gewonnen. Worum ging es genau?

Rüdiger Jung: Ich habe eine Familie mit sechs Kinder vertreten, der die Senatsverwaltung für Inneres die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt hat. Zur Begründung hieß es, die Einbürgerung sei durch eine arglistige Täuschung über die Herkunft der Antragsteller erfolgt. Das war 2004, also zehn Jahre nachdem die Familie eingebürgert worden war. Nach einem Rechtsstreit durch alle Instanzen hat das Bundesverwaltungsgericht nun entschieden, dass die Einbürgerung nach so langer Zeit nicht mehr rückgängig gemacht werden darf. Auch wenn eine Täuschung über die Herkunft erfolgt sein sollte, was meine Mandanten immer bestritten haben.

Was bedeutet das Urteil für die Einwanderungspolitik?

Ich hoffe, es hat einen positiven Effekt. Die Senatsverwaltung für Inneres ist bekannt dafür, besonders hart und rigide gegen Leute vorzugehen, die im Verdacht stehen, bei der Einbürgerung falsche Angaben gemacht zu haben.

Um welchen Personenkreis dreht es sich genau?

In erster Linie geht es um Kurden, von denen die Ausländerbehörde behauptet, sie stammten aus der Türkei. Die Betroffenen selbst sagen, sie kommen aus dem Libanon. Der Streit ist uralt und wird auf strafrechtlicher-, aufenthaltsrechtlicher- und eben auch auf staatsbürgerrechtlicher Ebene behandelt.

Sie meinen die Großfamilien, deretwegen das Landeskriminalamt im Jahr 2000 eine Ermittlungsgruppe gegründet hat? Laut Polizei sind die Familien zum Teil in die organisierte Kriminalität verstrickt.

Dass Teile der Großfamilien in die organisierte Kriminalität verstrickt sind, mag sein. Aber dann soll man diese Menschen vor Gericht stellen und nicht pauschal eine ganze Großfamilie unter Generalverdacht stellen und sagen, denen erkennen wir das Aufenthaltsrecht oder die deutsche Staatsbürgerschaft ab. Was ich besonders problematisch finde, ist, dass dies ohne Rücksicht auf die Kinder dieser Familien geschieht. Mittlerweile ist hier schon die zweite Generation groß geworden.

Wie viele Leute sind das?

Ich würde schätzen, allein hier in Berlin sind 3.000 bis 4000 libanesische Kurden betroffen. Man weiß nicht genau, woher sie stammen. Es handelt sich um sogenannte Mhallamiye-Kurden, die früher in den Libanon geflüchtet sind und in den 80er-Jahren aufgrund des Bürgerkriegs nach Europa und Deutschland kamen. Die Einbürgerungen fanden in der Regel Anfang der 90er Jahre statt. Damals ging man davon aus, dass der Personenkreis staatenlos ist.

Staatenlose wurden damals leichter eingebürgert?

Richtig. Das ist aber schon lange nicht mehr so. Es geht der Innenverwaltung heute also gar nicht darum, eine Tendenz aufzuhalten. Man will die Einbürgerungen von damals ohne zeitliche Begrenzung zurücknehmen, obwohl die Kinder als Deutsche geboren worden sind. Den Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit wegzunehmen würde bedeuten, dass die Kinder staatenlos werden. Das ist völlig unverhältnismäßig.

Was bedeutet das Urteil?

Wir hatten den Prozess schon vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg gewonnen. Die Senatsverwaltung für Inneres ist in Revision gegangen und hat jetzt einen deutlichen Hinweis darauf bekommen, dass ihr Vorgehen rechtswidrig war. Ich werte das Urteil als klare Aufforderung, sehr zurückhaltend mit dem Instrument der Rücknahme von Einbürgerungen umzugehen. INTERVIEW: P. PLARRE