„Voller Wut und Hoffnung“

Renée Zucker, erfolgreiche Autorin („Werden Sie wesentlich! Die Frau ab 50“), war eine der Mitorganisatorinnen des Tunixkongresses. Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit gelegentlich eines Telefonats mit ihrem Sohn

„Ich war ja gar nicht politisch, ich war einfach ein Hippiemädchen aus der Landkommune. Aber ich fand die Hippies immer ein bisschen doof, geistig etwas zurückgeblieben. Aber die Politischen fand ich auch doof, weil die so schrecklich rigide waren“

GESPRÄCH KASPAR ZUCKER

taz.tunix: Renée, erinnerst du dich gern an den Tunixkongress? Oder ist das schon sehr lange her?

Renée Zucker: Ich erinnere mich gern, und es ist wirklich schon lange her.

Weißt du eigentlich, dass du verehrt wirst, weil du diesen Kongress in Westberlin mit organisiert hast?

Nein, das weiß ich nicht. Ist ja auch wirklich kein Grund zur Verehrung.

Wie bist du auf die Idee gekommen, diesen Kongress zu initiieren?

Das war ich nicht allein, wir waren viele und hatten sehr unterschiedliche Motive. Es war in der Folge des Deutschen Herbsts, nach vielen Hausdurchsuchungen und großem Druck. Man wollte dem und der stagnierenden linken Politik etwas entgegensetzen.

Wie sah denn die linke Politik aus?

Ach, das waren diese ganzen ideologischen K-Gruppen auf der einen und die eklige DKP auf der anderen Seite.

Wie fühlte sich das Leben damals an? Ist es heute besser?

Ach, für mich fühlt sich das Leben immer gut an. Besser war es bestimmt nicht, wir waren halt jung und voller Schwung und Wut und Hoffnungen.

Hast du die Aufbruchstimmung gefühlt, und hattest du das Gefühl, dass du was gesellschaftlich veränderst?

Ja.

Siehst du dich im Gegensatz zu früher als naiv?

Ich glaub, ich bin immer noch naiv.

Hast du zu vielen von damals noch Kontakt?

Nicht zu vielen, aber zu manchen, vor allem zu Monika Döring.

Wurde die Welt durch Tunix besser?

Nein.

Hast du Tunix eigentlich, so gesehen, persönlich etwas zu verdanken?

Es war eine tolle Stimmung, wunderbar interessante Leute, aber das war ja damals öfter der Fall. Ich hatte so was davor 1971 auch schon mal in Essen mitveranstaltet, das hieß K14, nach dem politischen Kommissariat. Tunix war wohl am politischsten und hatte die größten Nachwirkungen.

Würdest du so einen Kongress abermals organisieren – oder sollten dies andere tun?

Warum nicht?

Was ist von Tunix übrig geblieben? Und was war die Botschaft?

Die Message war, dass man sich nicht von den herrschenden gesellschaftlichen Umständen beeinträchtigen lassen und mit dem Mainstream rumjammern wollte. Die meisten, die damals mitveranstaltet haben, waren politisch. Ich war ja gar nicht politisch, ich war einfach ein Hippiemädchen aus der Landkommune. Aber ich fand die Hippies immer ein bisschen doof, geistig etwas zurückgeblieben. Aber die Politischen fand ich auch doof, weil die so schrecklich rigide waren. Mein ganz persönliches Anliegen war: Die Hippies sollten etwas intellektueller werden und die politisch Motivierten etwas entspannter und lustiger.

War das auch Absicht der anderen?

Sicherlich nicht. Ich habe gerade eine Mail von Jony Eisenberg bekommen, und da war ich doch erstaunt, was für einen seltsamen Ton der immer noch draufhat. „Liebe Genossen“, stand da. Das war mitnichten ironisch gemeint.

Hättest du noch mehr gemacht, wenn du ein Jahr später nicht mit mir schwanger geworden wärst?

Ich hab trotzdem immer noch viel gemacht. Bei Tunix habe ich für den Unterhaltungsteil gesorgt, Musik, Clowns und Theatergruppen.

Hast du eigentlich auch mal eine Rede vor allen gehalten?

Nein, das wollte ich nicht und will ich auch immer noch nicht.

Du warst damals 24. Ich bin jetzt 28 und froh, dass ich endlich einen nine-to-five-job habe und meine Sozialversicherung bezahlt wird. Ist ja nicht das, was ihr erstrebenswert fandet. Deprimiert dich das?

Dass du so bist? Ein bisschen (lacht).

Wann kommst du noch mal wieder? Und bringst du mir diesen 100-Dollar-Computer mit?

Die kosten 250 Euro. Aber wenn er gut ist, bring ich dir einen mit. Ich komme im März wieder, und es wäre schön, wenn du mich abholst.

Mach ich, Mutter.

RENÉE ZUCKER, 1954 in Essen geboren, ist freie Autorin und reist zurzeit durch Südostasien. KASPAR ZUCKER ist ihr Sohn, 1979 in Berlin geboren. Er arbeitet in der taz-Anzeigenabteilung