LESERINNENBRIEFE
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Gemeingut in Verfassungsrang

■ betr.: „Dobrindt ignoriert Kritik und Fakten“, taz vom 27. 5. 15

Nicht nur der Bundesrechnungshof straft Minister Dobrindts Aussage, dass mit ÖPP zu bauen wirtschaftlicher sei, Lügen; auch internationale Vergleichsstudien bestätigen die Zweifel an der höheren Effizienz privater Bauträger. So weist ein Diskussionspapier des Internationalen Transportforums der Industrieländerorganisation darauf hin, es sei „kostspieliger, den privaten Sektor dazwischenzuschalten“, schließlich verlangen Versicherungen, Banken und Unternehmer eine Rendite, meist nicht unter fünf Prozent, während sich die öffentliche Hand derzeit fast zum Nulltarif verschulden könnte.

Was bringt also PolitikerInnen dazu, diese teure Variante des Bauens verwirklichen zu wollen? Nun, in der eigens einberufenen Expertenkommission zur „Stärkung von Investitionen“ von Sigmar Gabriel sitzen fast nur Vertreter von Versicherungen und Banken. Und der IWF hatte bereits „zusätzliche Schritte zur Stabilisierung der Lebensversicherer“ angemahnt, „die unter den sehr niedrigen Zinsen zu leiden haben“.

Wie Ugo Mattei in der Le Monde diplomatique schrieb, ist Privatisierung „Diebstahl an der Öffentlichkeit“. Es wäre also höchste Zeit, das Gemeingut in Verfassungsrang zu erheben, damit der Staat öffentlichen Besitz und Gemeingüter wie Einrichtungen der öffentlichen Daseinsfürsorge nicht weiter an die Privatwirtschaft veräußern kann. HELGA SCHNEIDER-LUDORFF, Oberursel

Dem Trend entgegenwirken

■ betr.: „Das Nadelöhr“ u. a., taz vom 3. 6. 15

Zunächst einmal vielen Dank für eure engagierte Vorabberichterstattung rund um den G-7-Gipfel in Elmau. Allerdings sprecht ihr in verschiedenen Artikeln davon, dass eine Demonstration „genehmigt“ oder „nicht genehmigt“ worden sei. In der heutigen Druckausgabe findet sich sogar eine Grafik über „genehmigte“ und „verbotene“ Routen des Sternmarsches am Sonntag. Leider ist diese – in den Medien bedauerlicherweise übliche – Wortwahl nicht nur juristisch falsch, sondern aus bürgerrechtlicher Perspektive auch richtig problematisch.

In Artikel 8 des Grundgesetzes heißt es: „(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. (2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.“ Das Grundgesetz garantiert also das Recht, sich „ohne Erlaubnis“ zu versammeln. Das Recht, sich zu versammeln und zu demonstrieren, besteht damit unmittelbar verfassungsrechtlich, es muss den Bürgerinnen und Bürgern nicht erst behördlich eingeräumt („genehmigt“) werden. Dies gilt – trotz des Gesetzesvorbehalts in Artikel 8 Absatz 2 GG – auch für Versammlungen unter freiem Himmel, da das Versammlungsgesetz für solche zwar eine Anmeldepflicht, nicht aber einen Genehmigungsvorbehalt enthält. Im Gegenteil dürfen die Behörden gegen Versammlungen überhaupt nur dann einschreiten – also Auflagen erteilen oder im äußersten Fall eine Versammlung verbieten –, wenn gemäß Paragraf 15 des Versammlungsgesetzes aufgrund erkennbarer Umstände eine „unmittelbare Gefahr“ für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung besteht (es ist von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch anerkannt, dass die bloße Nichtanmeldung einer Versammlung für sich alleine kein Verbot rechtfertigt).

Der entscheidende Unterschied – und deswegen ist diese Unterscheidung wichtig und nicht etwa „juristische Wortklauberei“ – ist, dass nicht die Demonstrantinnen und Demonstranten die „Ungefährlichkeit“ ihrer Versammlung nachweisen müssen, sondern dass die Beweislast für Verbots- und Auflagentatbestände allein bei der Versammlungsbehörde liegt. Diese darf nur dann einschreiten, wenn tatsächlich eine Gefahr besteht, sonst hat sie die Versammlung schlicht gewähren zu lassen und ist sogar zu ihrer Unterstützung (Verkehrsregelungen, Straßensperrungen etc.) verpflichtet.

Diese sehr freiheitliche, demokratie- und versammlungsfreundliche Regelung unseres Rechtsstaats wird in ihr Gegenteil verkehrt, wenn Medien in ihrer Berichterstattung von der „Genehmigung“ von Demonstrationen schreiben. Nicht zuletzt durch solche Darstellungen in den Medien ist in der Bevölkerung zu Unrecht der Eindruck entstanden, Versammlungen seien etwas, für das man um Erlaubnis bitten müsste. Ich sehe es gerade auch als Aufgabe der taz als progressiver und bürgerrechtsfreundlicher Zeitung an, diesem Trend entgegenzuwirken. THORSTEN DEPPNER, Berlin

Unglaublich geheimnisvolle Ware

■ betr.: „Die ungeliebte Tante Rosa“, taz vom 2. 6. 15

Toll, dieser Artikel! Ich werde ihn gleich mal an meine Kolleginnen von der Sexualpädagogik weiterreichen, die das Thema in ihre Veranstaltungen mit Jugendlichen ganz selbstverständlich und gut aufbereitet einbringen und damit beharrlich am Tabubrett bohren.

Der Artikel hat mich auch daran erinnert, wie ich als Mädchen in den 70ern im südbadischen Tante-Emma-Laden auf einer Packung las: „Sieht man nicht, hört man nicht, riecht man nicht.“ Ich machte mir tagelang darüber Gedanken, was das denn sein konnte. In dieser Packung konnte eigentlich nur nichts sein, aber warum wurde sie dann verkauft? Wer gab sein Geld für eine Packung aus, in der nichts war? Ich versuchte bei Einkäufen im Laden zu beobachten, ob jemand diese unglaublich geheimnisvolle Ware kaufte. Auch meine Freundin wusste dazu nichts!

Eines Tages wagten wir, diese Packung unerlaubt zu öffnen. Enttäuschung! Das Mysterium sah dafür, dass wir „nichts“ erwartet hatten, irgendwie langweilig aus. Sinn und Zweck blieben uns noch eine Zeit lang unklar. ANNETTE JOGGERST, pro familia Freiburg