Von Angst bis Zuhause

NIEDERKUNFT Zu Schwangerschaft und Geburt gibt es viel zu sagen. Mitunter reichen jedoch auch wenige Worte. Ein ABC

VON ELISA BRITZELMEIER

ANGST. Viele Frauen haben Angst vor den Schmerzen der Geburt. Doch Angst vor Schmerz verstärkt Schmerz. Manche Schwangere entscheidet sich aus Angst für einen Kaiserschnitt – obwohl diese Methode, was kaum bekannt ist, die höchste Komplikationsrate hat.

BLUMEN. Sie sind das Geschenk für Mütter. Blumen sind aber auch Symbol gegen Gewalt in der Geburtshilfe. Klinikpersonal, das ohne Warnung auf Bäuchen herumdrückt, Dammschnitte vornimmt oder Ängste schürt – all das gibt es. Am Aktionstag der „Roses Revolution“ legen Frauen rosafarbene Rosen vor Kreißsaaltüren, hinter denen sie Gewalt erlebten.

CTG. Mit Cardiotocography werden gleichzeitig der Herzschlag des Ungeborenen und die Wehentätigkeit der Gebärenden gemessen. Hausgeburten zeigen: Es geht auch ohne.

DOULA. Hebammen in Kliniken sind oft überlastet. Betreuen sie drei oder vier Frauen gleichzeitig, können sie nicht durchgehend bei jeder Gebärenden sein. Ein Ausweg: die Doula – eine Frau, die in den meisten Fällen selbst Mutter ist und Schwangere bei Schwangerschaft und Geburt begleitet. Medizinische Tätigkeiten führt sie nicht aus, aber sie gibt menschliche Zuwendung, ohne die Nerven zu verlieren.

EVENT. Ein Kind ist für viele Eltern zum Projekt geworden. Sie lesen Ratgeber, besuchen Vorbereitungskurse und kaufen vom Sterilisator fürs Fläschchen bis zur Matratze, die unruhige Atmung meldet, so gut wie alles. Geburt wird im Zeitalter der Selbstoptimierung eine weitere plan- und kontrollierbare Lifestyle-Etappe.

FÜNFTES BUCH DES SOZIALGESETZBUCHS. Es hält fest, dass jede Schwangere frei wählen kann: Sie kann ihr Kind ambulant oder stationär im Krankenhaus, im Geburtshaus oder zu Hause bekommen.

GEBURTSHILFE. Hebammen sind die klassischen Betreuerinnen von Frauen – vor, während und nach der Geburt. Sie sind also mehr als bloße „Hebe-Ammen“. Die Zukunft der Geburtshilfe sehen viele bedroht, weil freiberufliche Hebammen hohe Prämien für die Berufshaftpflicht zahlen müssen, ohne die sie nicht arbeiten dürfen. Das schränkt nicht nur die Wahlfreiheit der Frauen hinsichtlich des Geburtsortes ein, sondern gefährdet auch die Vor- und Nachbetreuung. Zum 1. Juli steigen die Prämien erneut.

HYPNOBIRTHING. Kurz nach der Geburt der kleinen Charlotte zeigte sich Herzogin Kate der Öffentlichkeit, schön und entspannt. Insider ließen die Presse wissen, Kate ginge es so gut, weil sie Hypnobirthing machte. Dabei bereiten Schwangere sich mit Trancen vor. Sie üben mental, wie sie die Geburt erleben wollen: angstfrei und entspannt. Die Frauen lernen, der Kraft ihrer Wehen zu vertrauen, statt sich dagegen zu stemmen. Problematisch wird Hypnobirthing, wenn wenn die Methode so ausgelegt wird, dass sie lautes Schreien verbietet.

INSPIRATION. 1971 brachte David Bowies Frau einen Sohn zur Welt. Danach schrieb Bowie den Song „Kooks“ für ihn – ein Lied, das vielfach gecovert wurde. Bei Bowie sind die „Kooks“, die Verrückten, die Eltern des Kleinen, also er und seine Frau.

JEAN-BAPTISTE GRENOUILLE. Literarische Geburtsschilderungen gibt es viele. Zu den ekligen zählt die in „Das Parfum“ von Patrick Süskind: „Grenouilles Mutter wünschte, dass alles schon vorüber wäre. Und als die Presswehen einsetzten, hockte sie sich unter ihren Schlachttisch und gebar dort, wie schon viermal zuvor, und nabelte mit dem Fischmesser das neugeborene Ding ab.“ Süskind erzählt damit nicht nur viel über den späteren Mörder Grenouille, sondern auch über die Situation von Frauen im 18. Jahrhundert.

KAISERSCHNITT. Mittlerweile sind über 30 Prozent der Geburten in Deutschland Kaiserschnitte. Die Rate hat sich in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt. Nur zehn bis 15 Prozent betrachtet die Weltgesundheitsorganisation WHO als medizinisch notwendig. Kaiserschnitt-Babys haben Studien zufolge häufiger Atemstörungen, Asthma, Allergien oder Diabetes. Und auch für die Mütter sind große Risiken und Schmerzen damit verbunden. Hinzu kommt: Vielen Frauen ist ihr Kind danach fremd. Dem soll der mütterlich assistierte Kaiserschnitt entgegenwirken, wie er Anfang Juni erstmals in Deutschland praktiziert wurde. Die Mutter zieht das Baby dabei selbst aus dem Bauch. Kritiker sehen darin wiederum Marketing für den Kaiserschnitt.

LOTUSGEBURT. Nabelschnur und Plazenta bleiben am Baby, bis sie nach drei bis zehn Tagen von selbst abfallen. Die Eltern legen die Plazenta in ein Gefäß mit Salz und Kräutern, das mit dem Baby herumgetragen wird. Der Name kommt von der Hellseherin Claire Lotus Day, die die Abtrennung der Nabelschnur mit einer Amputation verglich. Befürworter erwähnen entspanntere Babys. Kritiker weisen darauf hin, dass die Nabelschnur kein Blut mehr transportiert, sobald sie nicht mehr pulsiert.

MÄNNER. Sind inzwischen im Kreißsaal mit dabei. Früher war Geburt ein Ereignis, das Frauen mit Frauen erlebten. Zuerst kamen die Ärzte dazu und dann auch die Väter.

NEIN. „Ich schaff’ mir keine kleinen Kinder an“, sang Nina Hagen in „Unbeschreiblich weiblich“.

ORGASMUS. Etwa jede 300. Gebärende berichtet, während der Geburt einen Orgasmus gehabt zu haben. Ärzte halten das Phänomen für schwer nachvollziehbar, aber nicht auszuschließen.

POSTPARTALER BABYBAUCH. Wieder Kate: Nach der Geburt ihres ersten Kindes vor zwei Jahren zeigte sich die Herzogin von Cambridge der Öffentlichkeit. Im gepunkteten Kleid erschien sie, George in eine Decke gewickelt, der Ehemann daneben. Gut sichtbar war der „post-baby bump“. Jede Mutter weiß: Der verschwindet nicht sofort bei der Geburt. In den wenigen Minuten habe Kate mehr für das Selbstwertgefühl junger Mütter getan als jedes andere Vorbild, jubilierten britische Medien.

QUETSCHUNGEN. Kann sowohl die Mutter als auch das Kind bekommen, vor allem bei Zangengeburten oder solchen mit Saugglocke. Was nach Folterinstrument klingt, kann ein notwendiges Hilfsmittel in Notsituationen sein.

READ. Grantly Dick-Read war der Pionier der natürlichen Geburt. Seine These: Schmerz und Geburt gehören nicht zusammen. Geburtsschmerz sei eine Zivilisationskrankheit, schreibt er 1933 in dem Buch „Natural childbirth“. Damals wurde Gas zur Betäubung genutzt, heute meinen viele Frauen, dass es ohne PDA nicht geht. Lesenswert, immer noch.

SELBSTBESTIMMT. Je mehr Eingriffe, desto eher fühlt sich die Gebärende dem Geschehen ausgeliefert. Maßnahmen zu hinterfragen, ist aber immer möglich – außer in Notfallsituationen.

TRAUMA. „Ich habe die Geburt meiner Tochter bis heute nicht verarbeitet“ – wie die Internetuserin, die dies postete, sind viele Frauen nach einer Geburt traumatisiert. Auch Jahrzehnte später erinnern sie sich noch daran. Manche Geburtseinleitungen oder Kaiserschnitte werden nur aus Zeit- und Kostendruck beschlossen. Der fördert traumatische Erlebnisse.

UNTERSTÜTZUNG. Die gibt es für die Hebammen: Mehr als 100.000 Menschen unterzeichneten eine Petition, die sich an die Krankenkassen richtet.

VIERFÜSSLERSTAND. Im 12. bis 19. Jahrhundert wurde auf Gebärstühlen geboren. Die Geburt in Rückenlage verbreitete sich erst spät – um Ärzten den Zugriff zu erleichtern. Die Schwerkraft ausnutzen lässt sich dagegen in der Hocke, im Vierfüßlerstand oder im Stehen.

WASSERGEBURT. Sie wird heute auch in Kliniken angeboten. Das warme Wasser entspannt Muskeln, lindert Wehen, erleichtert die Geburt. Studien zufolge brauchen Frauen bei einer Wassergeburt weniger Schmerzmittel.

X-BELIEBIG. Heute gibt es zahlreiche Möglichkeiten, ein Kind zu bekommen. Der Frauenbewegung sei Dank. Zugleich öffnete sie aber semiprofessionellen Zugängen den Weg – das bedeutet auch Gefahren. Nicht jedem Angebot, das sich vermeintlich auf die Natur besinnt, ist zu vertrauen. Alleingeburten etwa sind hoch riskant.

YOGA. Atem im Griff, leichtere Geburt: Yoga kann während Schwangerschaft und Geburt entspannend wirken. Durch Meditation werden die Wehen zu tragenden Wellen, und man öffne sich wie eine Blume, berichten Mütter.

ZUHAUSE. Nach der Geburt folgt das achtwöchige Wochenbett. In der Zeit erholt sich die Mutter. 70 Prozent der Frauen leiden dann unter Erschöpfung, Müdigkeit, Schmerzen. Wichtig jetzt: Besuch, der hilft, und nicht nur unterhalten werden will. Und: kuscheln.