Außenseiter an der Innenseite

Im September tagte das Preisgericht für den BDA-Preis 2002 und kürte die besten Bauten der letzten vier Jahre im Land Bremen. Die taz stellt die vier Hauptpreisträger in einer Serie vor: 1. Das GW I-Hörsaalgebäude von Frenz und Schwanewedel

Anklang an die Siebziger: Der krude Charme des rauhen Sichtbetons

Es handelt sich um eine Art optisches Naturgesetz der Raumwahrnehmung, dass in einer Kurve die an der Außenseite stehenden Bauten besser in den Blick rücken als die an der Innenseite. So gesehen hat das neue Hörsaalgebäude an der Kurve, die von der Parkallee zur Universitätsallee überleitet, einen ungünstigen Standort erwischt. Zumal es als Pendant auf der prominenteren Seite mit Bremens architektonischem Eyecatcher Nr. 1 konkurrieren muss: dem Silberling des Universum Science Center.

Wenig beeindruckt hat das die Juroren des diesjährigen BDA-Preises, denn sie haben einen der vier Hauptpreise dem Außenseiter an der Innenseite der Kurve zukommen lassen. Was hat sie an diesem Bau des Bremer Architekturbüros Frenz + Schwanewedel überzeugt? Gerade der Verzicht darauf, die bescheidene Bauaufgabe „mit unnötigen Gestaltungselementen aufzupusten“ - eine Zurückhaltung ganz im Sinne von Ludwig Mies van der Rohes Motto „less is more“, lobten die Preisrichter.

In den Erläuterungen der Architekten werden vor allem zwei Merkmale des Baus herausgehoben: seine funktionale und gestalterische Eingliederung in den Gebäudekomplex Geisteswissenschaften I (GW I) und seine städtebaulich herausragende Lage am Eingang des Technologieparks. Das GW I stammt aus den frühen siebziger Jahren und ist die bauliche Urzelle der Bremer Universität. Die gestaffelte Dreiergruppe in rustikaler Fertigteil-Ästhetik wurde Anfang der neunziger Jahre renoviert und für den Studiengang Jura hergerichtet. Das noch fehlende Hörsaalgebäude bekam seinen Standort an der Westseite der Anlage. Ein dort platziertes Trafo- Häuschen konnte geschickt in den Neubau integriert werden – unter der Schräge des ansteigenden Hörsaals.

Der Neubau nimmt bewusst Elemente der GW I-Architektur auf – so die kubische Grundform oder die Einfügung in die Komposition der Staffelung – ohne die eigene Zeitgenossenschaft zu leugnen. Aber auch im Umgang mit dem Baumaterial gibt es Anklänge an die Siebziger: etwa mit dem kruden Charme nicht sonderlich präzise verarbeiteten Sichtbetons – die haustechnischen Geräte unprätentiös draufgeschraubt. Doch wird das Prinzip der Demonstration rohen Materials nicht tot geritten, sondern in Kontrast gesetzt zu akkurat in Primärfarben gestrichenen Wandflächen und zu plastisch herausgearbeiteten Teilen, wie dem verputzten Schacht des Aufzugs, der das an einer Stelle zwei Geschosse hoch ausgeweitete Foyer akzentuiert.

Als städtebauliche Betonung des Eingangs zum Technologiepark ist der Bau durchaus gelungen. Das relativ geringe Volumen des Kubus wird durch die Herausstellung seiner physischen Präsenz kompensiert. Dies gelingt vor allem durch große Wandflächen mit dunklen Klinkern. Sie sind im Binderverband ausgeführt, das heißt, die Schmalseiten der Steine zeigen nach außen, was der Wand optisch mehr Gewicht verleiht. Blasig ausbauchende Fehlbrände sind locker eingestreut und lassen die Flächen pulsieren. Entscheidend für die Außengestalt sind aber präzis gesetzte plastische Akzente und Fensteröffnungen, so etwa eine Auskragung im Obergeschoss an der südwestlichen Gebäudeecke. Hier ist mit einem filigran ausgebildeten Fluchtbalkon ein treffender Kontrast gesetzt. Doch nicht jedes Detail ist so gelungen. Vor allem der V-förmige Wasserspeier, der dann etwas kleinlaut in ein normales Regenfallrohr mündet, wirkt wenig überzeugend.

Insgesamt aber ist das GW I-Hörsaalgebäude, das nebenbei auch als Konzert- und Veranstaltungssaal dient, eine schöne architektonische Visitenkarte des neuen Präsidenten der Bremer Architektenkammer Michael Frenz. Eberhard Syring