Gutes tun, aber wie? – Das Interview: „Tiere schlachten ist Gewalt“

Wie viel Böses muss man tun, um Gutes zu bewirken? Ein Gespräch über militante Weltverbesserung und Aktionsformen der „radikalen Ökologie”.

30.000 Jungtiere gequetscht in einem Stall. Wann ist es legitim, Tiere aus Massentierhaltung zu befreien? Bild: dpa

Es ist so ein Novembernachmittag wie immer im Café Rüdigerhof in Wien. Eines der letzten Bohème-Cafés mit hohem Grindfaktor und durchgesessenen Sitzbänken. Das Café ist noch fast leer, es steht der kalte Rauch vom Vorabend im Raum.

Christof Mackinger lacht, denkt lange nach, bringt Argumente und versucht, auch Argumente gegen seine eigenen Argumente vorzubringen. Ein verbohrter Radikaler kommt wahrlich anders daher. Dabei hat ihn die Republik für mehrere Monate in U-Haft gesteckt und mit anderen Tierrechtsaktivisten wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt – und ihn damit zu so etwas wie einen Ökoterroristen stilisiert.

zeozwei: In Ihrem Buch „Radikale Ökologie” wird das Gute mit ziemlicher Militanz und Gewalt angestrebt: Brandstiftung, Brandbomben, Sprengen von Strommasten. Wie weit darf der Kampf für das Gute gehen, Herr Mackinger?

Christof Mackinger: Ich würde Militanz nicht mit Gewalttätigkeit gleichsetzen. Wenn ein Bagger brennt, ist das für mich nicht unbedingt Gewalttätigkeit. Das muss man übrigens dennoch nicht richtig finden – ich halte viele der von mir im Buch beschriebenen Aktionsformen keineswegs für sinnvoll oder legitim, aber Gewalt in dem Sinn sind sie nicht. Es kommt sehr auf den Kontext an.

Inwiefern?

Es gibt ein aktuelles Beispiel aus Brasilien, wo von der Regierung beschlossen wurde, dass im Bundesstaat Maranhão beim Amazonas keine Bäume mehr gefällt werden dürfen – einige Abholzungsfirmen machen es aber dennoch und illegal. Dort gibt es mittlerweile bewaffnete Verteidigungsmilizen, und deren Aktivitäten gehen sicher schon in Richtung Gewalt, ich halte das aber für viel nachvollziehbarer ...

Nachvollziehbarer als was?

ist Politikwissenschaftler, Autor und Aktivist. Er ist Mitte dreißig, genauer wird er auch auf Nachfrage nicht. Lebt in Wien. Als Teil einer Gruppe von österreichischen Tierrechtlern wurde er 2012 wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt und freigesprochen. In zeozwei 2/15 besprach Beate Willms sein Buch: „Radikale Ökologie“, Unrast-Verlag, 7,80 Euro.

Als wenn jemand in den USA zum bewaffneten Kampf zur Verteidigung der Umwelt aufruft, beispielsweise.

Wie definieren Sie radikale Ökologie?

Es gibt niemanden, der von sich sagt, er sei radikaler Ökologe und auch keine Bewegung, die sich als solche definieren würde. Ich würde radikale Ökologie dennoch folgendermaßen beschreiben wollen: Einerseits beschränkt sich radikale Ökologie nicht auf Aktionsformen, die staatlich erlaubt sind, sie geht darüber hinaus. Andererseits thematisiert radikale Ökologie nicht bloß konkrete umweltschädliche Praktiken, sondern kritisiert gesellschaftliche Bedingungen, von Ungleichheit über die kapitalistische Produktionsweise generell bis hin zu den zeitgenössischen konsumistischen Lebensformen.

Sie sind in der Tierrechtsbewegung aktiv und saßen als Angeklagter in einem spektakulären Prozess über drei Monate in Untersuchungshaft. Welche Aktionen haben Sie selbst gesetzt?

Ich habe klassische Aktionen des zivilen Ungehorsams gesetzt: Bei Pelzgeschäften auf das Vordach geklettert, wir haben uns angekettet. Im Zuge des Verfahrens sind uns Sachbeschädigung und Tierbefreiungen vorgeworfen worden. Wir sind in allen Punkten freigesprochen worden, auch im zentralen Anklagepunkt, der Bildung einer kriminellen Vereinigung.

Unabhängig davon: Halten Sie Tierbefreiungen für richtig, etwa in Nerzfarmen?

Ja. Wenn man ein Gegenüber hat, das hilfsbedürftig ist, bei dem man das direkte Leid sieht, also bei Menschen, bei Tieren, da ist die Notwendigkeit der Befreiung ja sehr offensichtlich. Ein anderes Beispiel: Wenn ich Flüchtlinge sehe, die aus dem Elend und dem Nichts kommen, dann ist es selbstverständlich, dass man sie ins Auto packt und über die Grenze fährt. Da ist einem wahrscheinlich das Gesetz egal. Genauso wenn ich in einer Mast- oder Legebatterie bin und die Hühner sehe, und ich kenne einen Bauern, der Platz für Hühner hat und sie am Ende nicht schlachtet, da ist es total legitim, zehn Hühner mitzunehmen.

Was ist der implizite Sinn von militanten Aktionen dieser Art: Tatsächlich bestimmte Dinge zu verhindern oder ein PR-Fanal zu setzen?

Es schwankt. Bleiben wir beim Beispiel Brasilien, das ich erwähnt habe. Da geht es schon um die ganz konkrete Verhinderung der Abholzung. In vielen anderen Kontexten geht es natürlich um PR, und dass man zeigt, es gibt Leute, die bereit sind, sehr weit zu gehen. Nehmen wir die Sea Shepherd Conservation Society, die sehr militante Aktionen macht, etwa indem die Aktivisten Walfangschiffe mit ihren eigenen Schiffen rammen und sie funktionsuntüchtig machen.

Irgendwann fahren sie wieder.

Ja. Obwohl diese Aktionen die weitere Tötung von Walen durch dieses eine Schiff für ein paar Stunden verhindern, geht es natürlich primär um das mediale Echo. Die bloße PR-Strategie und die Verhinderungsstrategie gehen aber in vielen Fällen ineinander über und zwar aus einem einfachen Grund: Man treibt die Kosten für die Firmen hoch, sodass sie ihre Praktiken irgendwann bleiben lassen. Viele Firmen leben von ihrem Image, und wenn sie für umweltzerstörende Praktiken öffentlich angeklagt werden, kann das für sie sehr teuer werden.

Gibt es nicht eine heikle Sache bei solchen Strategien? Man nötigt Firmen und damit im Endeffekt auch Menschen. In Ihrem Prozess wurde Ihnen ja auch Mobbing von Beschäftigten der österreichischen Firma Kleider Bauer vorgeworfen.

Wir wurden freigesprochen. Ich bin überhaupt nicht dafür, dass man so etwas tut. Man soll den Beschäftigten solcher Unternehmen das Leben nicht noch schwerer machen, und generell bin ich nicht dafür, Menschen persönlich zu mobben oder unter Druck zu setzen. Natürlich ist es aber auch eine knifflige Frage, wenn es nicht die kleinen Angestellten, sondern die Firmeneigner oder die Geschäftsführer betrifft: Denn da stellt sich die Frage, wie man Menschen nahgehen kann, die Dinge tun, die man für falsch hält und die für diese Praktiken verantwortlich sind.

Denken Sie an jemand bestimmtes?

Wenn man sich die nach wie vor bestehende Ölkatastrophe im nigerianischen Niger-Delta ansieht: Dort hat der Shell- Konzern Jahrzehnte lang Öl gefördert und massiv die Umwelt verschmutzt. Laut Amnesty International kam Shell nicht einmal seiner Verpflichtung nach, die Reinigungsarbeiten durchzuführen. Das sind konkrete Manager, die da Entscheidungen gegen den Umweltschutz treffen. Dort wurde eine ganze Region verseucht. Wie mit denen umgehen?

Wo gehobelt wird, da fliegen Späne, hätte Lenin gesagt.

Da gibt es für mich schon eindeutige Grenzen. Ich finde, die Utopie, die wir anstreben, soll auch bei unseren Aktionen erkennbar sein. Man kann nicht, überspitzt formuliert, für eine menschliche Gesellschaft mit unmenschlichen Mitteln kämpfen. Geplante Gewalt gegen Menschen oder Tiere – das ist eine Grenze, die niemand überschreiten soll.

Die Frage, wie weit man gehen kann, kann man von der Frage, worum es eigentlich geht, nicht völlig abstrahieren. Ist Umweltethik etwas anderes als Tierethik? Schließlich geht es da um leidensfähige Geschöpfe, die Angst und Liebe und Panik empfinden.

Einerseits kann man das nicht völlig trennen, weil durch Umweltzerstörung ja Tiere direkt betroffen sind, und sei es bloß, weil sie den Plastikmüll essen und dann daran sterben. Andererseits ist natürlich klar, dass ein Baum keine Schmerzen empfindet.

Tiere zu essen ist nicht legitim?

Nein, natürlich nicht. Tiere schlachten, das ist tatsächliche Gewalt.

Sie in Unfreiheit zu halten ebenfalls?

Ja, die Unfreiheit ist niemals artgerecht.

Aber dann verdient es jede Kreatur, befreit zu werden, und zwar mit allen zur Verfügung stehenden vernünftigen Mitteln.

Ja, selbstverständlich. Die Realisierung ist jedoch eine andere Frage. Erstens darf man es nicht und es würde enorme organisatorische Fragen aufwerfen. Natürlich trifft man auch Abwägungsfragen. Es war nicht lustig im Gefängnis. Darüber hinaus haben wir es mit einer riesigen Wirtschaft zu tun, die von der Tierausbeutung profitiert. Die ist über kurz oder lang erstmal abzuschaffen.

Viele Leute würden aber gerne schnell etwas bewirken. Was sollen die tun?

Man kann keine Form des Aktivismus finden, die für alle Leute passt. Ich finde viele Formen des zivilen Ungehorsams sehr effektiv. Man kann das mit wenigen Leuten gemeinsam machen. Ich persönlich lebe schon seit Jahren vegan. Ich versuche, ökologisch zu leben. Aber das allein, über den Konsum, kann es wohl nicht sein. Es gibt viele Dinge, die gar nicht radikal sind, die man mit anderen gemeinsam machen kann, die etwas bewirken. Wo man auch kapitalistische Logiken unterläuft, indem man nicht immer in Konkurrenz mit anderen agiert, sondern kooperativ.

Das Gespräch aus zeozwei 1/16 führte Robert Misik. Zuletzt ist von ihm erschienen: »Was Linke denken. Ideen von Marx über Gramsci zu Adorno, Habermas, Foucault & Co.«, Picus Verlag, 14.90 Euro.

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