Kommentar Gesetz gegen „Kinderehen“: Regelfall „Ehe-Alptraum“

„Kinderehen“ sind fachlich sehr komplex und deshalb kein gutes Wahlkampfthema. Der Gesetzentwurf des Justizministers wird dem nicht gerecht.

Ein junges Brautpaar, beide in weiß gekleidet, vor pinken und blauen Vorhängen und einem üppigen Blumenschmuck

Würde in Deutschland wohl wieder aufgelöst: Die Ehe zwischen einer 16-Jährigen und einem 26-jährigen in Indonesien Foto: dpa

Natürlich können Minderjährige noch kaum die Tragweite einer Eheschließung verstehen. Bei Mädchen kommt das erhöhte Risiko einer Jugendschwangerschaft hinzu. Ein gewisser Teil der Minderjährigen-Ehen dürften sogar Zwangsehen auf Druck der Familien sein. Hier muss der Staat sicher deutliche Angebote zum Ausstieg machen.

Allerdings ist die Vorstellung naiv, man müsse minderjährige Ehepartner, sobald sie als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, generell aus einem „Ehe-Alptraum“ befreien. Nach gemeinsam überstandener Flucht und der Ankunft in einem sehr fremden Land wäre eine Zwangstrennung vom Ehegatten für die meisten Betroffenen eher ein Schock. Es wäre deshalb fatal, wenn der deutsche Staat stets, das heißt ohne Betrachtung des Einzelfalls, diesen Weg beschreiten würde.

Justizminister Maas hat nun aber einen Gesetzentwurf vorgelegt, der leider stark in diese Richtung geht. Ehen sollen generell als nicht-existent behandelt werden, wenn einer der Partner zum Zeitpunkt der Heirat jünger als 16 war. Und wenn einer der Partner bei der Heirat zwischen 16 und 18 Jahre alt war, soll die Ehe in der Regel vom Familiengericht aufgehoben werden.

Positiv ist immerhin, dass Maas sich auf diejenigen konzentriert, die heute minderjährig verheiratet sind. Wer vor Jahren oder Jahrzehnten mit 15 oder 17 geheiratet hat und heute immer noch verheiratet ist, muss keine Unwirksamkeit oder Aufhebung seiner Ehe befürchten. Eigentlich ist so etwas selbstverständlich, aber auch darüber wurde schon diskutiert.

Schwarz-weiße Wohlfühlklientel

Bedauerlich ist aber, dass es bei Ehen, die unter 16 geschlossen wurden, gar keine Härtefallklausel gibt. Und bei Heiraten, die zwischen 16 und 18 erfolgten, ist die Härtefallklausel viel zu streng. Maas will die erforderliche Flexibilität nur in Extremfällen erlauben. So könne eine Minderjährigen-Ehe laut Gesetzesbegründung etwa dann bestehen bleiben, wenn der minderjährige Partner „lebensbedrohlich“ krank ist oder an einer „krankheitsbedingten Suizidabsicht“ leidet.

Damit verfehlt Maas den einzigen Maßstab, der wirklich naheliegt: das Wohlergehen der betroffenen Jugendlichen. Fast alle Fachverbände sind für eine Einzelfallprüfung mit Blick auf das „Kindeswohl“. Doch die Politik ignoriert die Stimmen der Fachleute. Ihr geht es eben nicht ums Kindeswohl, sondern um schwarz-weiße Wohlfühlpolitik für die eigene Klientel.

Wer für eine (fast) automatische Annulierung und Aufhebung von Minderjährigen-Ehen ist, macht Wahlkampf auf dem Rücken derjenigen, die er eigentlich schützen will. Minister Maas ist hier keineswegs der Schlimmste. Er ist auch nur ein Getriebener der Abgeordneten, und zwar nicht nur solcher der CDU/CSU.

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Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

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