Kommentar SPD-Vorsitz: Späte Erkenntnis

Wer noch ein Herz hat für diese Partei, ist wütend über die Vorstandsdebatte. So wie Simone Lange, die jetzt kandidiert. Gut so!

Simone Lange im Porträt

Eine Gegenkandidatin gehört zur demokratischen Kultur: Simone Lange nimmt es mit Nahles auf Foto: dpa

Warum nicht gleich so? Martin Schulz ist endgültig zurückgetreten. Statt Andrea Nahles übernimmt die Aufgaben des SPD-Vorsitzenden erst mal ein Stellvertreter, aller Wahrscheinlichkeit nach Olaf Scholz, bis die neue Parteichefin auf dem nächsten Parteitag im April gewählt wird. Ist ja nur logisch, denkt man da, wozu gibt es denn sonst stellvertretende Vorsitzende, wenn nicht für diesen Fall?

Aber mit Logik, zumal mit einer, der die meisten Leute folgen können, hat es die SPD derzeit nicht so. Das Chaos der letzten Wochen ließ bald auch die Hauptstadtpresse ratlos zurück, von WählerInnen ganz zu schweigen. Auch die Partei selbst verstand nicht mehr, was ihre Spitze da eigentlich veranstaltete, sah Schulz’ Herumpurzeln zwischen Gut gemeint und Schlecht gemacht hilflos zu.

Und so musste erst die Oberbürgermeisterin von Flensburg kommen und ein Machtwort sprechen, das da lautete: “Die da oben entscheiden einfach – das gab es zuletzt zu oft“, so schlicht sagte Simone Lange es im Zeit Online-Interview – und kandidierte folgerichtig selbst.

Dass es wenigstens eine Konkurrentin zu Andrea Nahles geben wird, wenngleich auch eher mit symbolischen Chancen, ist eigentlich eine demokratische Selbstverständlichkeit. Aber wenn man vor einem Jahr noch einen Vorsitzenden mit 100 Prozent gekürt hat, gerät das womöglich schnell in Vergessenheit.

Was in Brüssel oder im Bowlingverein gehen mag, das geht in der SPD im Jahr 2018 nicht mehr.

Langes Worte machten deutlich, was die grundfalsche SPD-Politik der letzten Zeit war und vor allem das grundsätzliche Problem von Martin Schulz: Entscheidungen treffen, den Laden mal richtig aufräumen, so dachte er sich das wohl. Es funktionierte nicht. Es ehrt Schulz, dass er den Gewaltritt, der das letzte Jahr für ihn gewesen sein muss, so lange durchgehalten hat. Aber seinen Rücktritt anzukündigen, diesen dann lange nicht zu vollziehen, die Nachfolgerin mit gutmütigem Stolz aber gleich mitzuliefern, das mag in Brüssel oder im Bowlingverein gehen, aber nicht in der SPD. Zumindest nicht mehr im Jahr 2018.

Eine von vielen

Denn es bewegt sich was, die SPD erneuert sich tatsächlich – aber nicht, weil jemand im Willy-Brandt-Haus sich einen tollen Hashtag ausgedacht hat, sondern weil dort vieles so dermaßen falsch lief, dass man richtiggehend wütend werden muss, wenn man noch ein Herz hat für diese Partei. Simone Lange ist eine von vielen.

Denn das Absurde ist ja: Schulz hatte mit seinem Rückzug vom Kabinettsposten ablenken wollen von Personaldebatten. Das ging schief, weil es kein kompletter und kein durchdachter Rückzug war. Auf Postenebene hatte Schulz in den Koalitionsverhandlungen erstaunlich viel für die SPD herausholen können, das hat womöglich auch den personalpolitischen Elan der SPD-Spitze in Sachen Parteiämter etwas zu sehr beflügelt. Die Basis interessiert viel eher, was die SPD beim Inhaltlichen durchsetzen konnte.

Dass dieses Mitgliedervotum jetzt noch für eine Regierungskoalition mit SPD-Beteiligung ausfällt, dafür werden Nahles und Co sich sehr, sehr anstrengen müssen. Unter einer flächendeckenden Deutschlandtournee geht jetzt nichts mehr. Es war ein eher unauffällig wirkender Satz, in dem sich die ganzen inneren Missverständnisse der SPD spiegelten: Er lautete: „Die SPD kann nicht führungslos bleiben“ und kam von Malu Dreyer. Die SPD war ja zum Zeitpunkt von Dreyers Aussage gar nicht führungslos, aber sie verhielt sich schon so, obwohl Schulz ja noch im Amt war, wenngleich er es besser nicht mehr gewesen wäre.

Ein zweiter SPD-Politiker aus Schleswig-Holstein hat sich für den Parteivorsitz in Stellung gebracht. „Ich biete mich als Alternative an“, schrieb das Landesvorstandsmitglied Dirk Diedrich auf seiner Internetseite. Er wolle eine „basisdemokratische Entscheidung“.

Die nächsten (möglichen!) Schritte schon zu denken, ist ja nicht falsch. Aber sie dann gleich auszusprechen, auch noch entsprechend zu handeln, während die Menschen im Land mit einmal am Tag Tagesschau gucken unmöglich hinterher kommen können – und man sich noch dazu gar nicht sicher sein kann, ob das Organisationsstatut der Partei es überhaupt hergibt! –, das geht nicht. Merkt jetzt auch Malu Dreyer: Laut Wahltrend von Spiegel Online liegt die SPD nur mehr bei 17 Prozentpunkten Zustimmung.

Andrea Nahles wird all das anders machen müssen. Und sie wird es gut machen – aber sie muss dafür gewählt werden. Nicht von Martin Schulz, nicht vom Parteivorstand, sondern von der Basis beziehungsweise deren Delegierten. Diese Erkenntnis erreichte SPD jetzt dann doch. Wie schade, dass es mal wieder zu spät war.

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ist freie Korrespondentin in den USA und war bis Anfang 2020 taz-Redakteurin im Ressort Meinung+Diskussion. Davor: Deutsche Journalistenschule, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bundestag, Literatur- und Politikstudium in Bamberg, Paris und Berlin, längerer Aufenthalt in Istanbul.

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