Pro und Contra zum „Gesellschaftsjahr“: Muss Helfen Pflicht werden?

Ein Jahr Dienst an der Gemeinschaft – verpflichtend für alle. Das schlägt unter anderem die Junge Union vor. Ist dieser „Zivi 2.0“ eine gute Idee?

Eine Frau in einem Rollstuhl ist von hinten zu sehen, neben ihr steht eine zweite Frau

Wer soll sich um sie kümmern? Der Staat, oder junge Menschen, als Dienst an der Gesellschaft? Foto: Unsplash/Josh Appel

Ein Jahr Dienst an der Gemeinschaft – verpflichtend für alle. Das schlägt unter anderem die Junge Union vor. Ein sogenanntes „Gesellschaftsjahr“ sollen Schulabgänger*innen im sozialen Bereich oder bei der Bundeswehr absolvieren können.

Ist dieser „Zivi 2.0“ eine gute Idee?

Ja, sagt Gereon Asmuth

Pflicht!, Pflicht! Pflicht!, rufen die Konservativen lauthals zum Appell. Die CDU will ihre Wehrpflicht wiederhaben. Als alter Kriegsdienstverweigerer möchte man da gleich auf die Barrikaden gehen. Schon weil der Ansatz der Idee so offensichtlich ist: Die Bundeswehr hat Probleme, genügend Dumme für ihren uniformierten Drill zu rekrutieren. Und natürlich geht es auch darum, dass die Gesundheitspolitik es nicht auf die Reihe kriegt, Personal für die Pflege zu finden. Also wird beides zusammen, hübsch verpackt, als „Gesellschaftsdienst“ verkauft.

Doch wer die Idee in dieser miefig rechten Ecke liegen lässt, tut ihr Unrecht. Und übersieht, dass sie auch eine Chance für junge Leute ist: zum Ausbruch aus dem auf Verwertung ausgerichteten Bildungsweg.

Ein „Gesellschaftsjahr“ zwischen Schule und Berufseinstieg bietet die Möglichkeit, einmal beiseitezutreten. Etwas auszuprobieren, das man für sinnvoll hält. Etwa einem querschnittsgelähmten Studenten im Wortsinne ein Jahr unter die Arme zu greifen. Bei mir hat diese Zeit nicht unbedingt mein Leben geprägt, aber doch meinen Blick auf die Welt erweitert. Nicht nur Freundschaften habe ich gefunden, sondern auch ein Gespür entwickelt für die gesellschaftliche Diskriminierung Behinderter. Und ich habe eben gemerkt, dass ich so einen Job nicht mein Leben lang machen möchte.

Natürlich kann man solche Erfahrungen auch jetzt schon machen. Im Bufdi, dem Bundesfreiwilligendienst. Aber der hat gleich zwei Konstruktionsfehler. Weil er miserabel bezahlt ist, zieht er vor allem diejenigen an, die es sich leisten können. Weil er freiwillig ist, kommen in erster Linie die ohnehin Engagierten. Ich jedenfalls hätte mich damals liebend gern gedrückt – und somit eine Zeit verpasst, die ich in der Rückschau auf keinen Fall missen möchte. Es war ein Geschenk, das ich zum Glück auspacken musste.

Der real existierende Zivildienst, wie er bis 2011 bestand, war das Ergebnis einer links-emanzipatorischen Bewegung

Der real existierende Zivildienst, wie er bis 2011 bestand, war das Ergebnis einer links-emanzipatorischen Bewegung. Sie schaffte es, aus den als „Drückebergern“ abgestempelten Zivis respektierte Stützen der Gesellschaft zu machen. Im Vergleich dazu sah der Wehrdienst geradezu altbacken aus.

Als die Wehrpflicht 2011 abgeschafft wurde, hat die gesellschaftliche Linke, ohne mit der Wimper zu zucken, zugelassen, dass der „Zivi“ gleich mitbegraben wurde. Ein großer Fehler – den wir wiederholen würden, wenn wir die Debatte über die Wiedereinführung den Rechten überließen.

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Nein, sagt René Hamann

Die Pflege ist ein anspruchsvoller, körperlich und psychisch äußerst belastender Job, der zudem massiv unterbezahlt ist. Wer soll das schon machen wollen? Könnte was für Migranten sein, hat man in Wirtschaft und Politik lange heimlich gedacht – aber nicht mit dem Missmut und dem Widerwillen der wutbürgerlichen Milieus gerechnet.

„Aber Moment“, fällt da welchen ein, „hatten wir da nicht schon mal etwas, das gut lief?“ Ein perfektes Ausbeutungssystem, das prima mit Moral, gutem Gewissen, staatstragendem Altruismus gedeckelt war? Richtig, den Zivildienst.

Das „Gesellschaftsjahr“ sei „eine Möglichkeit, etwas zurückzugeben und gleichzeitig den Zusammenhalt im Land zu stärken“, behauptet also der Chef der Jungen Union, Paul Ziemiak. Die JU versammelt meist junge Leute rechts der Mitte, die mit Gesellschaft im Sinne von Teilhabe oft nicht so viel am Hut haben.

Manchmal reicht es schon nachzusehen, von wo (und zu welchem Zeitpunkt) so eine in die Öffentlichkeit geblasene Forderung kommt. Zum einen ist Sommerloch, klassischerweise die Zeit für Politiker aus der Hinterbank, irgendetwas zu fordern. Hauptsache, abstrus genug, dass sich jemand aufregt. So hält man seinen Namen ins Licht, so startet man aber auch einen Testlauf für das Thema: Säuft es ab, oder ist was dran? Zum anderen stehen die Zeichen in dieser Republik gerade auf rechts. Vielleicht geht da ja noch mehr!

Die Probleme liegen naturgemäß anderswo: Erstens in der Bundeswehr, da will nämlich niemand hin, der noch bei Verstand ist. Legitimationsprobleme hat der Laden sowieso (dass er in Mali oder Afghanistan einen guten Job macht, darf bezweifelt werden). Und zweitens im Pflegenotstand: Es gibt immer mehr Pflegebedürftige, aber nur wenige, die das tun wollen, aus genannten Gründen.

Eine Jugend, die gegen supermiese Bezahlung mindere und niedrige Arbeit „für die Gesellschaft“ verrichten soll, und sich das Ganze obendrein selbst als „selbstlos etwas Gutes tun“ verkaufen muss – das hatte sich eigentlich erledigt

Guttenberg sei Dank gibt es keinen Zivildienst mehr, um dieses Problem notzustopfen. Eine Jugend, die gegen supermiese Bezahlung mindere und niedrige Arbeit „für die Gesellschaft“ verrichten soll, und sich das Ganze obendrein selbst als „selbstlos etwas Gutes tun“ verkaufen muss – das hatte sich eigentlich erledigt. Eigentlich. Doch plötzlich kommt der „Zivi“ wieder als „Debatte, die längst überfällig sei“ um die Ecke!

Was „das Soziale“ angeht, könnte man einfach mehr in die Strukturen und in Gehälter investieren. Dann muss man auch nicht mehr so einen Quatsch wie das „Gesellschaftsjahr“ diskutieren. Teil der Gesellschaft sind wir nämlich auch so – ein Leben lang.

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