Psychiaterin über NSU-Hauptangeklagte: „Schweigen ist eine Waffe“

Immer wieder wird der NSU-Prozess unterbrochen, weil die Angeklagte krank ist. Psychiaterin Heidi Kastner über das Verhalten Beate Zschäpes.

Beate Zschäpe steht mit dem Rücken zur Betrachterin

Wird sie jemals ihr Schweigen brechen? Foto: dpa

Seit zwei Jahren steht Beate Zschäpe im NSU-Prozess vor Gericht. Sie ist angeklagt, mitverantwortlich zu sein für 10 Morde, 3 Anschläge und 15 Überfälle des „Nationalsozialistischen Untergrunds“. Seit zwei Jahren schweigt sie in den Gerichtsverhandlungen. Jetzt musste der Prozess wiederholt unterbrochen werden, weil sie krank war. Ein Gutachten attestierte ihr eine „chronische Belastungsreaktion“ aufgrund der „kraftraubenden Verteidigungsstrategie“. Am Mittwoch beantragte Zschäpe, ihre Verteidigerin Anja Sturm vom Mandat zu entheben.

taz: Frau Kastner, im NSU-Prozess hat Beate Zschäpe diese Woche für Unruhe gesorgt: Sie stellte einen Misstrauensantrag gegen ihre Verteidigerin. Aus Ihrer Erfahrung als Gerichtspsychiaterin: Was sagt dieser Schritt über Zschäpe?

Heidi Kastner: Das ist schwierig zu sagen, weil wir nicht wissen, welchen Disput es zwischen den beiden gibt. Aber sicher ist, dass hier nicht eine willenlose, völlig gebrochene Frau handelt, die am Ende ihrer Kräfte ist. Angeklagte, die unter einer Prozesssituation leiden, ergeben sich in der Regel in die vom Verteidiger vorgegebene Strategie. Bei Frau Zschäpe aber scheint noch sehr viel eigener Wille da zu sein und die Fähigkeit, diesen mit Nachdruck durchzusetzen.

Ist das schlecht?

Nein. Aber es korrespondiert nicht mit dem Bild, das Frau Zschäpe zuletzt zu vermitteln versuchte.

Ein Psychiater hat Zschäpe im Frühjahr getroffen und schrieb in einem Gutachten, dass sie „extrem“ unter ihrer Strategie leide, während des Prozesses konsequent zu schweigen.

Natürlich ist das über so einen langen Zeitraum eine enorme Anstrengung. Frau Zschäpe scheint vor ihrer Inhaftierung ja durchaus kommunikationsorientiert gewesen zu sein. Wenn jemand aus dem Trio mit der Außenwelt, mit Nachbarn, sprach, dann sie. Schweigen kann aber auch Kraft geben. Man schafft das Gefühl: Ich bin der, der sich vorbehält, etwas zu sagen oder nicht. Ich lasse nicht zu, dass ihr auf mich zugreift. Zerbrecht euch den Kopf über mich. Aber ich werde euch nichts sagen. Schweigen ist eine massive Waffe. Es kann ein Werkzeug sein, den anderen hilflos zu machen.

Der Gutachter attestierte Zschäpe weniger Kraft als vielmehr eine chronische Belastungsreaktion.

52, ist Österreichs renommierteste Gerichtspsychiaterin. Sie leitet die forensische Abteilung der Landesnervenklinik Linz und arbeitet seit 1998 als Gerichtsgutachterin. Sie untersuchte 2009 Josef Fritzl, der seine Tochter beinahe 24 Jahre lang im Keller gefangen hielt.

Das ist schon mal von der Definition her schwierig. Frau Zschäpe reagiert ja nicht auf ein Ereignis, dem sie unaufhebbar ausgesetzt ist, wie es in der Regel Voraussetzung für die Diagnose einer Belastungsreaktion ist. Sie hat sich freiwillig in ihre jetzige Situation gebracht und hat es jederzeit in der Hand, diese zu beenden.

Ihre Anwälte raten ihr strikt zum Schweigen.

Frau Zschäpe hat immer die Möglichkeit und auch das Recht, den Rat ihrer Anwälte nicht zu beachten.

Der Gutachter diagnostizierte bei Zschäpe auch Übelkeit, Erbrechen und Röschenflechten: Kann Schweigen krank machen?

Hitlers Landschaftsplaner begrünten das Vernichtungslager in Auschwitz und den Westwall, die gigantische Verteidigungsanlage gen Westen. Und einige von ihnen machten als Naturschützer später auch in der Bundesrepublik Karriere. In der taz.am wochenende vom 13./14. Juni 2015 erzählen wir, warum sich der deutsche Naturschutz mit seiner braunen Vergangenheit beschäftigen sollte. Außerdem: Sind kleine Höfe wirklich besser? Ein Blick auf einen Agrarriesen und einen Biohof, als Reportage und Grafik. Und: Eine Foto-Reportage aus einer kleinen Bar in Tokio, in der die Menschen nichts auf Traditionen geben. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Allgemein ist es nicht gesund, Gefühle zu unterdrücken. Wenn ich Gefühle, zumal negative, in mir archiviere, kann ich diese nicht auflösen. Das kann auf Dauer psychosomatische Schäden verursachen. Aber noch mal: Ich glaube, Frau Zschäpe handelt hier aus einer Position der Stärke. Sie hat sich bewusst entschieden, nichts zu sagen. Und nach dem, was ich weiß, demonstriert sie im Prozess vor allem ihre Indifferenz. Sie schaut gelangweilt drein, löst Kreuzworträtsel. Zeigt also ein gehöriges Maß an Kaltschnäuzigkeit. Der Eindruck, dass die Angehörigen sie wirklich rühren würden, der ist nicht entstanden.

Im Prozess ist Frau Zschäpe mit dem schweren Vorwurf des zehnfachen Mordes konfrontiert, der bisher nicht ausgeräumt wurde. Ist Schweigen da die richtige Strategie?

Das müssen Sie die Verteidiger fragen.

Anders gefragt: Können Sie diese Strategie aus Sicht von Zschäpe nachvollziehen?

Es ist das gute Recht jedes Angeklagten, zu schweigen. Wenn ich nichts sage, kann ich mich auch nicht in Widersprüche verstricken. Die Botschaft kann aber auch eine andere sein: nämlich dem Gericht meine Verachtung zu zeigen. Ich erachte euch für zu gering, als dass ich euch mit Kommunikation würdige.

Schweigt Zschäpe nicht auch einfach, weil sie den Vorwürfen nur schwer beikommt?

Das kann ich schwer beurteilen. Aber ein Indiz für besondere Reue und Einsicht in eigenes Fehlverhalten ist das Schweigen von Frau Zschäpe jedenfalls nicht. Sonst wäre sie ja interessiert, zu einer Aufklärung beizutragen, auch im Sinne der Opfer.

Wenn Zschäpe nach außen eisern schweigt und nur begrenzt mit ihren Anwälten redet: Warum hat sie sich ausgerechnet dem Psychiater anvertraut, dessen Gutachten den Prozessbeteiligten übergeben wurde?

Denkbar ist, dass sie tatsächlich unter der Situation leidet und die Gelegenheit ergriffen hat, sich jemanden mitzuteilen. Dagegen spricht aber, dass sich Frau Zschäpe ja nicht in völliger Isolation befindet. Sie kann mit Mitinhaftierten sprechen. Sie spricht, wie auch immer, mit ihren Anwälten. Und sie könnte jederzeit mit einem Gefängnispsychologen sprechen, der einer Schweigepflicht unterliegt. Sie hätte also Möglichkeiten, sich von der Seele zu reden, was sie quält. Daher sehe ich für das Gutachten eher eine andere Motivation.

Und zwar?

Vielleicht wollte Zschäpe darüber taktisch eine Botschaft transportieren: Seht, ich bin hier das Opfer. Opfer von Belastungen. Ich bin die eigentlich Arme.

Zschäpes Verteidiger versuchen im Prozess ein ähnliches Bild zu vermitteln: die Hausfrau, die von nichts gewusst hat, weil „ihre Uwes“ die Taten ohne sie durchgezogen haben. Ist das plausibel?

Es wäre für mich zumindest erstaunlich, dass jemand in einem Prozess so viel Resilienz aufbringt und sich mit seinen Verteidigern anlegt, der zu Hause immer nur das Hausmütterchen abgegeben hat. Hätte Frau Zschäpe tatsächlich diese urklassische Frauenrolle ausgefüllt, würde sie sich jetzt wohl eher unterordnen.

Finden Sie es eigentlich erstaunlich, dass gerade eine Frau mit solcher Härte auftritt?

Nein, überhaupt nicht. Wenn Sie an die RAF denken, dort waren Frauen genauso dabei und durchschlagskräftig wie die Männer. Diese Dichotomie – schwache Frauen, starke Männer –, die kann man getrost aufgeben. Die stimmt schlicht nicht. Frauen sind nicht die besseren Menschen, auch nicht die schwächeren.

Zschäpe kommt aus dem rechtsextremen Milieu. Ist ihr Schweigen auch Teil eines politischen Kodexes?

Eine Gesinnung, die sich das Recht herausnimmt, militante Interessen zu verfolgen, unter Einsatz des Lebens anderer, die muss in sich eine gewisse Hybris aufweisen. Denn um das zu machen, muss ich mich über andere stellen. Dann sehe ich mich als Teil eines exklusiven Zirkels. Und ich habe es auch nicht nötig, mit Vertretern der geltenden Ordnung zu kommunizieren.

Und das sehen Sie bei Zschäpe?

Es ist gut möglich, dass sie mit ihrem Schweigen auch Gesinnungsgenossen vermitteln will, dass sie unverbrüchlich an ihrer Gesinnung festhält und sich vom System nicht brechen lässt. Und bedenken Sie: Frau Zschäpe lebte jahrelang im Untergrund. Mit Janusköpfigkeit ist sie vertraut. Auch damit, nicht ihr Herz auf der Zunge zu tragen. Dieses Doppelleben ist für sie der Modus Vivendi, das ist für sie nach all den Jahren etwas ganz Normales.

Zschäpe meldete sich zuletzt wiederholt krank. Erst diese Woche sagte der Senat zwei Prozesstage ab, „mit Rücksicht auf den Gesundheitszustand der Angeklagten“. Ab wann könnte das zu einer Gefahr für den Prozess werden?

Dann, wenn jemand dauerhaft nicht mehr in der Lage wäre, den Prozess zu verfolgen. Das träfe aber erst bei ganz schweren psychischen Krankheiten zu, die etwa die Realitätswahrnehmung verzerren oder verunmöglichen. Davon scheint mir Frau Zschäpe weit entfernt.

Glauben Sie, es könnte noch den Moment geben, in dem Beate Zschäpe ihr Schweigen bricht?

Für wahrscheinlich halte ich es nicht. Sie würde damit ja ihr ganzes bisherige Verhalten, die ganze Vorleistung, nichtig machen. Wenn sie jetzt aufgibt, wozu dann das Ganze?

Hatten Sie schon mal einen Fall, in dem ein Angeklagter so lange schwieg und dann doch noch auspackte?

Nein. Ich kenne auch niemanden, der so ein langes Verfahren durchlaufen hat. Aber nehmen Sie den Fall Franz Fuchs. Er war ein Rechtsradikaler und Fanatiker, der in Österreich in den Neunzigern Briefbomben verschickte. Der hat in seinem Prozess nicht geschwiegen, aber eine sehr ähnliche Strategie verfolgt: Er ist in den Saal getreten und hat in einer Tour „Ausländer raus“ und „Was für eine Würstl-Republik“ gebrüllt. Fuchs hat damit auf seine Art geschwiegen und jede Mitwirkung am Prozess verweigert. Und er hat es bis zum Schluss durchgezogen, bis er vom Verfahren ausgeschlossen wurde.

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