Schönheitschirurgen in Brasilien: Der Körper ist das wahre Kapital

Nirgendwo treiben Frauen so viel Kult um den Körper wie in Brasilien. Das Land ist auch eine Hochburg für Schönheitsoperationen.

Schönheitswettbeweb im brasilianischen Sao Paulo. Bild: imago / fotoarena

Es gibt keine hässlichen Menschen, es gibt nur arme Menschen. So das Credo von Frances-Clai Franco-Posch, die das Brazilian Waxing, Nails & Cosmetic Studio DepilBella in Berlin-Schöneberg betreibt. Für die Brasilianerin ist gutes Aussehen keineswegs etwas von Gott Gegebenes, sondern machbar. Man muss sich nur in die Hände von Profis begeben, die sich wie sie der Verschönerung ihrer Mitmenschen verschrieben haben.

Wie die Kosmetikerin denken unzählige Brasilianer. Wie sonst ließe sich erklären, dass der durchschnittliche Verbrauch an Haarfärbemitteln oder Botox nirgendwo auf der Welt so hoch ist wie zwischen Amazonas und Zuckerhut? Dass nirgendwo sonst so viele Schönheitsoperationen pro Kopf durchgeführt werden?

2009 waren es nach Angaben der Brasilianischen Gesellschaft für Plastische Chirurgie 645.464, das sind 1.768 pro Tag. Nicht zufällig war es auch ein Brasilianer, der die Schönheitschirurgie überhaupt zu solcher Bedeutung gebracht hat: Ivo Pitanguy. Er begann seine Karriere damit, Unfallopfern und Missgebildeten zu einem würdigen Leben zu verhelfen, später verlegte er sich mehr und mehr darauf, Gesunde zu verschönern – von Jackie Onassis über Ursula Andress, Stéphanie von Monaco, König Hussein von Jordanien bis Silvio Berlusconi.

Dazu hat der Michelangelo des Skalpells als Professor an der Universidade Católica de Rio de Janeiro um die 500 Mediziner in seiner Disziplin ausgebildet.

An erster Stelle der Eingriffe steht die Lipoaspiração, wie die Fettabsaugung auf Portugiesisch heißt. Nachdem die Brasilianer in den letzten Jahren zunehmend Wohlstandsspeck angelegt haben, begeben sie sich immer öfter unters Messer, um wieder einen vorzeigbaren Bauch, schlankere Arme oder Beine zu bekommen.

Bauch, Brust, Facelifting

Auch sonst lassen sie munter an sich herumschnippeln. An zweiter Stelle rangieren die Brustoperationen, gefolgt von Facelifting, Korrekturen der Lippen, Nase oder Augenbrauen. Einer der jüngsten Trends ist die sogenannte Vaginoplástica, bei der meist die Schamlippen verkleinert werden. Schließlich sind es etwa zu 88 Prozent Frauen, die sich unters Messer legen.

Die kommen keineswegs nur aus der Ober- und Mittelschicht. Auch weniger Betuchte sparen für eine Brustvergrößerung, nehmen dafür einen Kredit auf. Im Übrigen wird die Kundschaft immer jünger. Die brasilianische Zeitschrift Veja führte das Beispiel der 17-jährigen Raysa Martins de Jesus aus São Paulo an, die sich 300 Milliliter Silikon einsetzen ließ – als vorgezogenes Geburtstagsgeschenk zu ihrem 18. Geburtstag.

Und das ist oft erst der Anfang. „Wurde erst mal der Busen in Form gebracht, sollen auch noch die Lippen aufgeblasen werden. Und danach vielleicht der Po“, hat Sílvia Soutas, die bei der Realityshow „Dr. Hollywood“ mitarbeitet, beobachtet. Da gibt es Frauen wie die Miss Brasil 2003, die sich mit nur 22 Jahren bereits 19-mal operieren ließen.

Extremster Fall ist das Model Angela Bismarchi, das von ihren Ehemännern – beide Schönheitschirurgen – bis zur Unkenntlichkeit „verschönert“ wurde. „Zum Teil bringen meine Kollegen Monster hervor“, gesteht auch Carlos Fernando Gomes de Almeida, Schüler von Ivo Pitanguy, einer der führenden Operateure von Rio.

Wie erklärt er die große Nachfrage nach derartigen Eingriffen? „Dafür gibt es technische und kulturelle Gründe. Einerseits haben beispielsweise immer bessere Silikonimplantate Brustvergrößerungen in großem Stil möglich gemacht“, weiß der Mediziner, der regelmäßig in Rio und São Paulo operiert. „Andererseits hat sich auch die Gesellschaft verändert.“

Nicht ohne Risiko

Der Einfluss der Katholischen Kirche sei nicht mehr so stark wie früher. Zwar würden die Frauen auf keinen Fall oben ohne am Strand herumlaufen. Doch die sogenannte Mamaplástica sei kein Tabu mehr. „Im Gegenteil. Sie gelten heute als etwas völlig Banales. Was sie natürlich nicht sind. Denn es handelt sich immer noch um eine Operation mit allen damit verbundenen Risiken“, warnt Gomes de Almeida. Ein Facelifting sei auf keinen Fall so etwas wie ein Friseurbesuch.

Doch muss es noch andere Gründe dafür geben, dass viele Frauen so viel Geld, Zeit und zum Teil auch ihre Gesundheit für die Schönheit opfern. Zunächst ist da die Tatsache, dass der Körper hier einen ganz anderen Stellenwert hat. In Städten mit tropisch-heißem Klima, wo man sich viel im Freien und am Strand aufhält und vorwiegend leicht bekleidet herumläuft, ist er viel präsenter als anderswo. Vermeintliche Schönheitsfehler fallen da schneller auf als in anderen Ländern, wo sich Pölsterchen oder Cellulitis durch entsprechende Kleidung kaschieren lassen. Wobei die vorwiegend eng anliegenden, knappen Tops, Shorts oder Kleider hier gar nicht verhüllen sollen. Ihr Hauptzweck ist, die Figur zur Geltung bringen.

„Während in Frankreich das persönliche Erscheinungsbild in erster Linie Produkt des individuellen Kleidungsstils ist, stellen die Brasilianerinnen den Körper zur Schau“, konstatiert der französische Anthropologe Stéphane Malysse. Umso wichtiger ist es, dass dieser Körper perfekt modelliert ist. Was nichts anderes heißt, als dass er so weit wie möglich dem gefragter Models, der Karnevalsköniginnen oder der Stars der Telenovelas des Fernsehsenders Globo gleicht.

Kapital der Frau

„Der Körper ist das Kapital der Frau“, erklärt die brasilianische Anthropologin Mirian Goldenberg das Phänomen. „Er ist eine Form der Macht. Nur mit einem entsprechenden Körper kann frau sozial aufsteigen.“ Und zwar gelte das sowohl für den Heirats- oder Beziehungs- wie für den Arbeitsmarkt.

Frauen, die etwas werden wollen – das gilt natürlich vor allem für Schauspielerinnen oder Fernsehmoderatorinnen –, sollten jung, schlank, fit und sexy sein. Und daran müssen sie mehr oder weniger hart arbeiten und in ihren Körper investieren. Das gelte selbst für Politikerinnen wie Dilma Roussef, die ohne entsprechende Maßnahmen vielleicht nicht zur Staatspräsidentin gewählt worden wäre.

„Sehen Sie sich mal ihre Fotos von früher und heute an“, meint Goldenberg. „Sie können sie fast nicht mehr wiedererkennen. Und dann vergleichen Sie sie mit Angela Merkel!“ Auch sonst würden Brasilianerinnen, die ihre Achselhaare nicht entfernen, graue Haare übertönen, Diätpläne befolgen und, falls nötig, sich auch Botox spritzen oder operieren lassen, riskieren sozial ausgegrenzt zu werden wie in anderen Ländern Menschen, die sich nicht waschen oder schlecht riechen. „Wer hässlich ist, gilt als faul und ist selber schuld. Eine moralische Schuld“, ist Goldenberg überzeugt.

Statussymbol: Teure Schönheits-OP

Insofern werde über Eingriffe wie Fettabsaugungen keineswegs verschämt geschwiegen, stattdessen offen und gern darüber gesprochen, wer in welcher Klinik das Skalpell geführt hat. „Dergleichen gilt als Statussymbol.“ Erst langsam rege sich dagegen Widerstand, würden sich auch prominente Frauen zu ihren grauen Haaren oder Falten bekennen. Es zeichnet sich eine vorsichtige Tendenz zu mehr Individualität ab.

Ob die zum Trend wird, bleibt abzuwarten. Immerhin hat sich das derzeit geltende Schönheitsideal auch erst unter dem massiven Einfluss der Medien seit den 1980er Jahren herausgebildet. Wenn früher eine eher kleine Oberweite und ein großer Po als schön galten, sei inzwischen – wohl aufgrund von US-amerikanischen Vorbildern – ein immer größerer Busen gefragt.

Statt vorher 200 lassen sich viele Frauen mittlerweile 300 Milliliter Silikon implantieren. „Heute hat die Idealfrau blonde, glatte, lange Haare, eine kleine Nase, einen großen Mund, große Brüste, einen großen Po. Sie sehen alle gleich aus, als würden sie aus einer Fabrik kommen.“ Schönheitschirurg Gomes de Almeida spricht aus Erfahrung.

Allerdings würde inzwischen nicht mehr europäischen oder US-amerikanischen, sondern brasilianischen Vorbildern wie Gisele Bündchen nachgeeifert, die zu den bestbezahlten Models der Welt gehört. Bemerkenswert ist, dass gleichzeitig – zumindest in Rio – Natürlichkeit propagiert wird. Mit wenig Schminke, eher lässiger als eleganter Kleidung und viel Sport. Ob am Strand, am Binnensee Lagoa oder in den kostenlosen Open-Air-Fitnessstudios in Parkanlagen – überall sieht man sie joggen, walken, Fahrrad fahren oder an Geräten trainieren.

Schön und unzufrieden

Und noch etwas ist paradox: Obwohl die Brasilianerinnen immer besser und jünger aussehen, weil sie Sport treiben und gesünder leben, sind sie Befragungen von Mirian Goldenberg zufolge fast durchweg unzufrieden mit ihrem Aussehen. Selbst emanzipierte Frauen, die angesehen, beruflich erfolgreich sind und als attraktiv gelten, würden subjektiv überproportional stark unter ihren vermeintlichen Schönheitsfehlern leiden. Woher rührt dieses Problem der Selbstwahrnehmung?

Um das zu erklären, zieht die Autorin des Buchs „Coroas“ – was auf Deutsch so viel heißt wie „Oldies“ oder „alte Schachteln“ – den brasilianischen Soziologen Gilberto Freyre heran, der die Bedeutung des weiblichen Körpers mit der Kolonisation Brasiliens in Verbindung bringt. Für die Entwicklung des Landes waren ihm zufolge die sexuellen Beziehungen zwischen den Ureinwohnerinnen und den schwarzen Sklavinnen mit den portugiesischen Kolonialherren fundamental.

Weiße Herrenlust und sexuelle Willigkeit gingen nach Freyre eine harmonische Verbindung ein. Dies könnte das Selbstverständnis der Frau als Objekt der Begierde nachhaltig geprägt haben. Schließlich bestand lange Zeit für viele die einzige Chance zum sozialen Aufstieg und zur Erlangung bestimmter Privilegien in der Ehe, in einer amourösen Beziehung oder in der Prostitution. Bezeichnenderweise würden sich der Expertin zufolge noch heute die meisten Frauen hauptsächlich über ihre Beziehung zu einem oder mehreren Männern beziehungsweise über deren Fehlen definieren.

Ändern würde sich das erst, wenn sie um die fünfzig sind. Während einige Brasilianerinnen dann besonders unter dem Alter, dem Verlust an Attraktivität litten, fühlten sich andere vom Zwang zur sexuellen Attraktivität befreit. Nachdem sie dann oftmals von ihren Mutterpflichten entbunden seien, nähmen sie sich Zeit für sich selbst und ihre Interessen. Alles Dinge, auf die beispielsweise deutsche Frauen nicht so lange warten müssten.

Individualität und Persönlichkeit

Im Gegenteil. „Die Emanzipation der Deutschen ist eine Errungenschaft des ganzen Lebens, schon seit ihrer Jugend“, behauptet Mirian Goldenberg in ihrem Buch „Coroas“, in dem sie Brasilianerinnen und Deutsche miteinander vergleicht. Sie würden viel mehr Wert auf Individualität, Persönlichkeit und berufliche Verwirklichung legen.

Was nicht auszuschließen scheint, dass sie sich in Sachen Schönheitskult in den letzten Jahren den Brasilianerinnen angenähert haben. Sind Botox und plastische Chirurgie nicht auch hierzulande mehr oder mehr an der Tagesordnung? Und schießen nicht die Brazilian Waxing Studios in den deutschen Großstädten wie Pilze aus dem Boden?

„Als ich vor zwanzig Jahren nach Berlin kam, hat sich kaum eine Frau die Haare weggemacht“, erinnert sich Kosmetikerin Frances-Clae. „Aber wehe, du kommst jetzt ins Fitnessstudio und bist nicht perfekt depiliert.“ In dieser Beziehung hätten sich die deutschen Frauen stark weiterentwickelt. Und sie leistet mit ihrem Salon in Schöneberg gern Entwicklungshilfe.

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