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Staatsvertrag mit Muslimen im NordenEinigung erreicht, Mehrheit verfehlt

Schleswig-Holstein ermöglicht Schulkindern und Landesbediensteten, muslimische Feiertage zu begehen. Doch Ditib und Schura sind keine Vertragspartner.

Vertrag unterzeichnet: In Schleswig-Holstein soll es perspektivisch Islamunterricht an Schulen geben Foto: Frank Rumpenhorst/dpa
Esther Geisslinger

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Esther Geisslinger aus Rendsburg

taz | Die schleswig-holsteinische Landesregierung hat einen Vertrag mit dem Verband der islamischen Kulturzentren geschlossen, es geht etwa um die Anerkennung von Feiertagen. Nicht dabei sind zu deren Missfallen die mitgliederstärksten muslimischen Verbände Dıtıb und Schura.

Muslimische Landesbedienstete und Schüler:innen haben künftig zu Beginn des Fastenmonats Ramadan und am Opferfest frei. Das ist der wohl spürbarste Bestandteil des Vertrags, den Kulturministerin Dorit Stenke (CDU) und Murat Pırıldar, Landesvorsitzender des Verbandes islamischer Kulturzentren (VIKZ) Norddeutschland, unterzeichnet haben. Langfristig geht es nun auch um Islamunterricht in den Schulen, um ein eigenes Schulfach und die Frage, wer dort unterrichten soll.

Der Vertrag stelle ein wichtiges Zeichen der Anerkennung und Gleichbehandlung der Religionsgemeinschaften dar, sagte Stenke bei der Unterzeichnung: „Menschen muslimischen Glaubens sind Teil unserer Gesellschaft. Das besiegeln wir mit diesem Vertrag.“ Pırıldar freute sich im Gegenzug „auf die wichtige Rolle, die wir als Vertragspartner des Landes Schleswig-Holstein übernehmen“.

Rund 12.000 Schleswig-Holsteiner:innen gehören dem Verband der Kulturzentren an. Das ist aber nur ein kleiner Teil der etwa 70.000 Muslim:innen im Land, darauf verweisen die Türkisch-Islamische Union (Dıtıb) Nord und der Rat der islamischen Gemeinschaften (Schura) in einer Pressemitteilung. Beide Verbände seien „trotz zahlreicher Gespräche mit dem Bildungsministerium ausgegrenzt“ worden. Das verzerre die Wirklichkeit, verletze das Paritätsgebot und untergrabe das Vertrauen in staatliches Handeln, heißt es in der Mitteilung.

Menschen muslimischen Glaubens sind Teil unserer Gesellschaft. Das besiegeln wir mit diesem Vertrag

Dorit Stenke, Kulturministerin in Schleswig-Holstein

Tatsächlich hat es lange Verhandlungen gegeben. Bereits 2022 gab die Landesregierung zwei Gutachten in Auftrag, die die Verbände in religiöser und rechtlicher Hinsicht auf ihre Vertragsfähigkeit prüfen sollten. Unter anderem wurde geprüft, ob die Nähe der Dıtıb zur Türkei ein Ausschlusskriterium für einen Vertrag darstelle.

Ist es nicht, sagt Stefan Muckel, Professor für Religionsrecht an der Universität Köln. Es sei unbedenklich, wenn sich eine in Deutschland ansässige Religionsgemeinschaft in inhaltlichen Fragen an den Vorgaben einer ausländischen Stelle orientiere. Selbst „eine religiöse Fremdsteuerung aus dem Ausland“ sei verfassungsrechtlich unbedenklich – sagt er mit Blick auf die katholische Kirche. Muckel schlägt in seinem Gutachten aber eine Reihe von Maßnahmen vor, mit denen sich die Dıtıb politisch von der Türkei abgrenzen sollte.

Das Land Schleswig-Holstein habe mit beiden Verbänden eigenständige Gespräche geführt, sagt Wilko Huper, Sprecher des Bildungsministeriums, auf taz-Anfrage. Mit der Schura waren die Verhandlungen bis zur Ebene erster Vertragsgespräche gediehen, „aktuell sind jedoch noch nicht alle inhaltlichen Punkte geeint“. Die Dıtıb erfülle „jedoch derzeit nicht die Voraussetzungen für die Aufnahme konkreter Vertragsverhandlungen“. Die Regierung stehe aber mit beiden Gruppen weiter in einem „konstruktiven Dialog“.

Positionierung gegen Hamas als Streitpunkt

Auf einen Punkt, der die Verhandlungen zurzeit schwierig machen könnte, weist der Journalist und Buchautor Eren Güvercin in einem Post auf der Plattform X hin. Der Bundesverband der islamischen Kulturzentren war im Oktober 2023 aus dem Koordinierungsrat der Muslime ausgetreten, dem auch Dıtıb als großer Mitgliedsverband angehört.

Auf der Website des VIKZ findet sich keine Begründung für diesen Schritt. Güvercin schreibt aber, dass in dem Gremium „eine gemeinsame eindeutige Positionierung gegen die Hamas nicht möglich war“.

Die Landesregierung nannte den Vertrag in einer ersten Mitteilung „wegweisend“. Auf Nachfrage teilte das Ministerium mit, das sei im bundesweiten Vergleich gemeint: „Verträge mit Islamverbänden gibt es bisher nur in wenigen Bundesländern.“ Wichtig sei der Vertrag vor allem als Zeichen der Anerkennung.

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10 Kommentare

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  • Als hart arbeitender Steuerzahler, fordere ich staatliche Unterstützung dafür, dass meine Kinder nach meiner Facon sozialisiert werden. Bisher gibt es als staatliche Dienstleistung jedoch nur RK/EV/Ethik und jetzt soll noch Islam ins Programm. Als CDU-Wähler, also mit der größten Fraktion im Bundestag, fordere ich das zusätzlich dass das CDU-Wahlprogramm unterrichtet wird! Oder wahlweise Angebote mit Lokalkolorit, wie z.B. das indigene Wissen der schwäbischen Urbevölkerung. Oder warum nicht gleich Kreationismus, das ist auch nicht irrationaler als Christentum und Islam.

  • Das ist der falsche Weg. Feiertage ja, aber Religionsunterricht ist nicht mehr zeitgemäß. Nur ein gemeinsamer Ethikunterricht vermittelt gemeinsame Werte. Religionsunterricht wird in getrennten Gruppen abgehalten, betont und verstärkt die Unterschiede und verhindert gesellschaftlichen Zusammenhalt von Beginn an. Teile und herrsche...

  • Der Umstand, dass ein Professor für Religionsrecht es für verfassungsrechtlich unbedenklich hält, einen Staatsvertrag trotz "religiöser Fremdsteuerung aus dem Ausland" abzuschließen, ist nun wirklich kein Argument dafür, die hiesige Vertretung von Erdogans Staatsislam mit einem Staatsvertrag aufzuwerten. Und was sollte die von Muckel geforderte politische "Abgrenzung" der Ditib von der Türkei anderes darstellen als ein Lippenbekenntnis? Die Ditib steht, wie es im Wikipedia-Artikel über die Organisation zutreffend beschrieben wird, unter der Leitung, Kontrolle und Aufsicht des staatlichen Präsidiums für religiöse Angelegenheiten (Diyanet İşleri Başkanlığı) der Türkei, das Erdogan direkt unterstellt ist. Nicht alles, was juristisch vielleicht zulässig sein mag, ist politisch richtig.

  • Aber an den christlichen Feiertagen arbeiten sie dann weiter? Auch ohne Schüler? Das wird immer lächerlicher!

  • Wer einen religiösen Feiertag begehen möchte, kann gerne einen Urlaubstag nehmen. Das sollte auch für Ostern oder Pfingsten etc. gelten. Ich würde es begrüßen, wenn sämtliche Feiertage Anlässe hätten, die für alle Bewohner Deutschlands nachvollziehbar sind, wenn es z.B. einen Tag der Menschenrechte gäbe und am Jahresende ein Fest des Friedens gefeiert würde. Zur Zeit müssen wir uns nach christlichen Vorstellungen richten. So dürfen wir etwa an christlichen, sogenannten „stillen Feiertagen“ nicht tanzen oder fröhliche Musik hören. Statt diese spalterischen Regeln abzuschaffen, werden neue eingeführt, um eine weitere Minderheit zu beglücken. Vielleicht möchten die Buddhisten, die yogischen Flieger und die Anhänger des fliegenden Spaghettimonsters auch ihre eigenen Feiertage auf Staatskosten begehen? Wie viele Tage wird es dann geben, an denen alle Schüler gemeinsam lernen und alle Ämter besetzt sind? Wir fallen immer mehr ins Mittelalter zurück.

    • @Runa:

      Religiöse Feiertage wie Ostern oder Weihnachten gibt es nicht etwa, weil der Staat meint, dass Arbeitnehmer über die im Arbeitsvertrag vereinbarte Zahl der Urlaubstage noch mehr Urlaubstage benötigten, sondern NUR deswegen, weil es eben religiöse Feiertage gibt. Und das Grundgesetz schützt diese Feiertage ausdrücklich.

      Umgekehrt wird dagegen ein Schuh draus: Nichtreligiöse bzw. nichtchristliche Menschen bekommen Weihnachten, Ostern, Himmelfahrt, Pfingsten sowie regionenabhängig auch noch an Fronleichnam, Mariä Himmelfahrt, dem Reformationstag, Allerheiligen und dem Buß- und Bettag "unverdient" einen freien Tag.

  • Und wer sagt, er oder sie sei muslimischen Glaubens darf zu Hause bleiben?



    Gibt es das auch für Juden, Hindus usw? Wenn nein, was ist das für eine Gleichbehandlung?



    Fakt ist, die Religionen kommen zurück und die Aufklärung wird rückabgewickelt.

    • @BS:

      Ja, das gibt es auch für Juden, für Katholiken in evangelischen Bundesländern, ...

      (Bei Hindus weiß ich es nicht.)

      Ja, wir leben gerade in religiösen Zeiten.

      Theistische Religionen wie nichttheistische Religionen - z. B. Nationalismus- sind schwer auf dem Vormarsch.

      Ob damit die Aufklärung rückabgewickelt wird, liegt an "uns" als Gesellschaft.

      Auch im säkularen Berech existieren ja Gruppen, die sagen, faktenbegründete, objektive Wissenschaftlichkeit ist nicht so wichtig.

      Empfindungen genügen als Begründung.

      • @rero:

        Warum halten sie den Nationalismus für eine Religion?

        Selbst wenn es irgendwann nur einen Staat auf der Welt auf der Welt gäbe, würde der sich irgendwann wieder spalten. Eben weil Menschen sich gerne abgrenzen, durch was auch immer. Eine Nation ist eben immer die Einheit, unter der sich Menschen versammeln haben und was gemeinsam machen wollen. Was dann daraus wird ist eine andere Sache. Es ist aber doch per se keine zu verteufelnde Sache, nur weil manchmal der Nationalismus Schreckliches gebracht hat.

        • @BS:

          Die Idee, dass Nationalismus als politische Religion gilt, ist nicht von mir, sondern hat in der Politikwissenschaft eine gewisse Verbreitung.

          Nationalismus kann verschiedene Merkmale von Religion haben, insbesondere die Suche nach Transzendenz und Lebenssinn.

          Ich denke, Menschen haben ein religiöses Grundbedürfnis, das unterschiedlich bedient werden kann.

          Das ist nicht per se schlecht.

          Religion ist, was man daraus macht.

          Auch andere Themen kann man als Religion betreiben.

          Klimaprotest, wie die Hungerstreikler ihn betrieben z. B.

          Auch "Name it, blame it, shame it." Da finden Sie die Idee der Erbsünde.

          Ich habe Texte zu mehreren aktuellen Themen gelesen, wo sich mir der Eindruck aufdrängte, da betreibt jemand es als Religion.

          Ich selbst bin nicht sehr religiös, ich habe dann eine Distanz zu solchen Personen.



          (Nicht zum Thema.)

          Das heißt nicht, dass diese Themen an sich Religion sind oder man sie als Religion betreiben MUSS.

          Die Nation will ich keinesfalls verteufeln.

          Ich denke, sie ist bis heute die einzige Ebene, auf der man gesellschaftliche und politische Partizipation als Individuum akzeptiert einfordern kann.