„Die Türen müssen noch eingesetzt werden“

Hip Hop in Bremen: Die fetten Zeiten sind vorbei, aber das könnte sich ändern. Der Nachwuchs hat sich zum losen Bündnis „Bextown Guerilla“ zusammengeschlossen und richtet sich am Europahafen in Walle ein Studio ein. Zwischen Dienstleistungsunternehmen und Spielwiese ist alles drin

Die erste Maxi kam 2001 auf den Markt – aufgenommen in der Abstellkammer einer WG„Jeder hat seine Definition von Hip Hop – für mich ist Pazifismus ein wichtiger Grundsatz“

In der Baumstraße 41 wird gebaut. Eisenwolle liegt neben leeren Pizzakartons im verstaubten Flur, doch bald stehen hier Mischpult, Endstufe, Keyboard und Technics 1210-Plattenspieler. Bremer Rapkünstler wollen schon bald ihr Studio beziehen können. „ Die Türen müssen noch eingesetzt werden, und der Teppich kommt auch“, kommentiert Björn Wodarz das Schlachtfeld.

Der 24-jährige gebürtige Oldenburger ist MC, in letzter Zeit ist er jedoch überwiegend Handwerker. Bisher betrat keine Baufirma diesen Platz, somit wurden die Kosten niedrig gehalten. „Ein vernünftiges Studio ist der einzig mögliche Weg für uns“, erklärt sein Kollege Christoph Matysiak das emsige Arbeiten. Die beiden nehmen das Projekt ernst, denn sie wollen ihr Leben bestreiten „mit einem Dienstleistungsunternehmen, wo auch Rock, Pop oder ein Jazztrio aufgenommen werden sollen.“

Ihr musikalisches wie auch technisches Know How hätten sie unter Beweis gestellt – vor sieben Jahren fanden sie sich bei einem Wettbewerb für Housemusik unter den besten elf von 4.500 Teilnehmern: „Mit einem Ethno-Ding“, wie Wodarz schmunzelnd anmerkt. Ihren Namen „Chillkröten“, mit dem sie in der Hip Hop Szene aktiv sind, müssen sie ablegen: „Wenn wir demnächst Udo Jürgens produzieren sollten, können wir uns nicht Chillkröten nennen“, so Matysiak lakonisch.

Im hinteren Teil des Gebäude entsteht ein zweites, kleineres Studio. Dort schwitzt die Rap Formation „Defekte Dichtung“ bei Renovierungsarbeiten: „Ich will auch einen Hobbyraum. So wie ein Bodybuilder, der im Keller seine Hantelbank aufbaut. Dies wird unsere Spielwiese, dort können wir uns austoben“, so Felix Diegritz, ein MC der Gruppe. Der 21 Jahre alte Zivildienstleistende und sein gleichaltriger Mitstreiter Tobias Sailer scheinen das Studio-Projekt etwas entspannter zu sehen.

Die insgesamt sechs Leute von „Defekte Dichtung“ fanden sich 1995 im Viertel und in der Neustadt. Ein Jahr später kürte sie die Breminale Jury zum Nachwuchs des Jahres. Die erste Maxi „Wenn wir“ kam 2001 auf dem Markt – aufgenommen wurde sie in der Abstellkammer einer WG. Das soll jetzt anders werden.

Hip Hop ist für den bärtigen Philosophiestudenten Tobias Sailer ein fester Bestandteil im Alltag: „Ich freestyle in der Dusche, Rap ist Training für mein Gehirn. Die Metrik beim Rappen ist frei. Es ist das, was aus dem Bauch herauskommt zum jeweiligen Beat assoziativ weitergesponnen wird.“ Diegritz sieht im Rap gar die „Weiterführung der großen Dichterzeit“. Hört man die Texte, erkennt man die Freude an Wortspielen, vor allem aber Interesse an skurilen Begebenheiten. Diegritz auf der Maxi „Wählscheibe“ zum Kokainfund im Reichstag: „ Ich begreif es nie/ die Verlogenheit/ der Drogenscheiß/ der Modeschein/ eine Dosis Koks damit alles rosig bleibt/ die Welt versinkt in Anteilnahmslosigkeit/ die Obrigkeit feiert Weihnachten von Montag bis Freitag/ auf dem Klo im Reichstag.“

Um den Bremer Rap ist es stiller geworden, zumindest im Vergleich zu seiner Hochzeit 1994. Damals präsentierten sich Zentrifugal, Lyrical Poetry und F.A.B. auf dem Sampler „Nordseite“ und machten den Bremer Sprechgesang deutschlandweit bekannt. Zeitgleich kletterte der Nachwuchs auf die Bühnen der zahlreichen Jams (Hip Hop Party mit Grafitti, Breakdance und Rap) und stellte sich mit Freestyle Auftritten vor. Neue Gruppen fanden sich, und so manches Zimmer wurde dank PC zum Heimstudio.

Ende 2000 folgte der zweite Boom: Die „Local Hip Hop Nights“ füllten Schlachthof und Modernes. Doch der Hype um den Deutsch Rap ebbte wieder ab, bis auf eine Handvoll Rapper, DJs und Produzenten, die sich in einem lockeren Bündnis zur „Bextown Guerilla“ zusammenschlossen. Das zweite Bextown-Mixtape ist gerade in der Mache und wird von Anti Funk Records vertrieben. Aus dem gleichen Hause kommt die Maxi „Menschenmengen“ des Bremer „Flat Fiasko“, das mit dem Vocal Sample „blow up spots like the World Trade Center“ und Zeilen wie „ich schieß meinen Namen mit MGs in Menschenmengen“ sehr provokant daher kommt.

„Jeder hat seine Definition von Hip Hop“, stellt Diegritz klar, „und für mich ist der Pazifismus ein wichtiger Grundsatz. Sich als Individuum auszudrücken, und zwar friedlich durch Singen, Tanzen oder Malen – darum geht es.“ Aufgewachsen ist Diegritz in Land-WGs, mit seiner Mutter ging es nach Berlin in besetzte Häuser, und sein Vater nahm ihn mit auf Straßentourneen. Das sinkende Interesse der Musikindustrie am Rap bedauert Diegritz nicht: „Catering und 2.000 Euro Gage geht völlig vorbei am Sinn von Hip Hop. Für mich ist Hip Hop in Deutschland auch was Linkes. Lackos passen da für mich nicht rein.“

Daniel Toedt