Ein Experiment zum Wohnen und Wohlfühlen

Berlin ist eine experimentelle Stadt. Morgen präsentiert ein Kongress innovative Projekte für eine nachhaltige Stadtentwicklung. Die taz stellt drei dieser Projekte vor. Das „Sonnenhaus“ in Niederschöneweide ist eines davon. Hier leben mehrere Generationen gemeinschaftlich unter einem Dach

von DAVID DENK

Silvester wollen sie hier oben schon feiern – im Gemeinschaftsraum unterm Dach. Ein ehrgeiziger Plan. „Noch braucht man ein bisschen Fantasie, um sich das alles vorzustellen“, sagt Anita Engelmann, als sie den skeptischen Blick ihres Gegenübers bemerkt. Anita Engelmann hat die nötige Fantasie, gar keine Frage. Schließlich ist das alles hier ihre Idee. Die 49 Jahre alte Architektin hat sich nach der Trennung von ihrem Mann die Frage gestellt, wie sie alt werden will. Die Antwort war eindeutig: Alleine auf keinen Fall! Also suchte sie Gleichgesinnte und eine passende Immobilie – das Projekt und damit auch der Verein „Sonnenhaus“ Niederschöneweide war geboren. „Sonnenhaus, weil’s hier so sonnig ist, von morgens bis abends, und wegen unseres sonnigen Gemüts“, erklärt Anita Engelmann, während sie gemeinsam mit ihren künftigen Nachbarn Annette Opitz (42) und Dieter Frisch (44) über die Baustelle führt.

Das Haus an der Flutstraße 1 hatte 15 Jahre lang leer gestanden, bevor es im September 2004 mit Unterstützung des Landes Berlin, das die Hälfte der Baukosten in Höhe von 1,7 Millionen Euro trägt, aus seinem Dornröschenschlaf geweckt wurde. Seitdem laufen die umfangreichen Bauarbeiten, die neben der Landesunterstützung auch Eigenanteile der Mieter und Kredite finanzieren, die durch eingeworbene Kleinbürgschaften abgesichert sind.

Die dritte Etage muss teilweise wiederaufgebaut werden, das Dachgeschoss wird komplett neu errichtet, weil es im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde – genau wie der Gebäudeteil an der Schnellerstraße. „Deswegen haben wir jetzt einen schönen großen Garten“, freut sich Anita Engelmann. Ab Anfang 2006 sollen die zwölf Wohnungen in dem 1911 erbauten Gründerzeithaus bezogen werden können – Wohnungen mit ein bis vier Zimmern zwischen 35 und 130 Quadratmetern.

Es ist Teil des Sonnenhaus-Konzepts, dass es sich den Bedürfnissen seiner Bewohner anpasst. „Hier sieht keene Wohnung wie die andere aus“, sagt Annette Opitz. „Variable Grundrisslösungen“ heißt das im Architektendeutsch. Dieter Frisch und seine Frau zum Beispiel wollen in ihrer Zweiraumwohnung nur ein kleines Bad – und bekommen deswegen auch nur ein kleines. Und im Erdgeschoss wird eine barrierefreie Wohnung für eine 20 Jahre alte Rollstuhlfahrerin eingerichtet, die sich im Sonnenhaus von der Hilfe ihrer Mutter emanzipieren soll. Genauso sagt Anita Engelmann das auch. Denn das Sonnenhaus ist mehr als ein gewöhnliches Mietshaus. „Mit dem generationenübergreifenden Wohn- und Arbeitsprojekt ‚Sonnenhaus‘ verwirklichen wir unsere Vorstellungen von einem vielfältigen selbstbestimmten Leben“, heißt es auf der Website www.sonnenhaus-berlin.de.

Das gilt für die behinderte Bewohnerin genauso wie für die 78 Jahre alte Mieterin und die drei Baustellenführer, die allesamt hier alt werden wollen. Nur über die genaue Wohnsituation sind sie sich noch nicht ganz einig. „Wenn die jungen Leute aus unserer Vierer-WG Familien gründen, könnten wir doch auch die Wohnungen wechseln“, schlägt Anita Engelmann vor. „Das wusst’ ick nich’, dass ich in ’ner WG wohnen muss, wenn ick alt bin“, berlinert Annette Opitz zurück.

Die Stimmung ist gut im Sonnenhaus. Bestimmt liegt das auch daran, dass man sich zum Teil schon länger kennt. So ziehen zum Beispiel auch Marie und Klaus, die Kinder von Anita Engelmann, ins Sonnenhaus ein sowie Annette Opitz’ Sohn Max – allerdings nicht in die Wohnungen ihrer Mütter, sondern in die zwei Jugend-WGs. Schon vorm Einzug ist die Hausgemeinschaft also gehörig zusammengewachsen.

„Die zwischenmenschlichen Prozesse waren nicht immer einfach, aber immer interessant, manchmal auch anstrengend und schmerzlich“, resümiert Dieter Frisch. Von drei potenziellen Mitbewohnern habe man sich trennen müssen, weil sie nicht zuverlässig waren oder aber die Vorstellungen vom gemeinsamen Leben im Projekt zu stark differierten. Außerdem ist einer aus der Gruppe gestorben, sodass seine Frau jetzt mit dem 18 Jahre alten Sohn alleine einziehen wird. Ein Grund mehr, dem vorherrschenden Motto „Im Sonnenhaus mit- und füreinander leben“ zu folgen.

Bevor die neuen Wohnungen allerdings bezogen werden können, packen die 20 künftigen Sonnenhaus-Bewohner jeden Samstag auf der Baustelle mit an, „jeder nach seinen Möglichkeiten und so gut er kann“, sagt Dieter Frisch. Wer nicht schwer tragen kann, kümmert sich halt ums Essen. Frisch erinnert der Umgang der Bewohner untereinander an das Motto der drei Musketiere: „Einer für alle, alle für einen.“ Er meint das ernst. Und seine Nachbarin in spe, Annette Opitz, ergänzt: „Gegenseitiges Misstrauen oder das Gefühl, übervorteilt zu werden, kennen wir nicht. So ist ja die Gesellschaft. Und das wollen wir hier gerade nicht.“