Der Stellvertreter

Gordon Brown will als Premierminister alles anders machen als sein Vorgänger. Doch schreibt der Schatzkanzler eher das letzte Kapitel der Story Blair als eine eigene neue

Ralf Sotscheck, 53, berichtet seit 22 Jahren für die taz aus Dublin. Mit Gordon Brown begrüßt er seinen vierten Premierminister. Gemocht hat er bisher keinen.

Er kann es kaum erwarten. Am 24. Juni wird der britische Schatzkanzler Gordon Brown auf einem Sonderparteitag zum Labour-Chef und Premierminister gekrönt, drei Tage später übernimmt er das Amt von Tony Blair. Bis dahin will er den Parteimitgliedern und der Nation landauf, landab seine Politik erläutern.

Er hatte 13 Jahre Zeit, sich darauf vorzubereiten, nachdem er mit Blair 1994 einen Pakt geschlossen hatte, wonach Blair den Vortritt erhielt, aber nach fünf oder sechs Jahren das Amt an Brown abgeben sollte. Doch Blair dachte nicht daran, und seither ist das Verhältnis der beiden zerrüttet.

Brown hat ein neues Lieblingswort. In seiner Rede am Freitag sprach er von einer „neuen Regierung“ mit „neuen Ideen“ unter einer „neuen Führung für eine neue Zeit“. Brown versucht eifrig, sich von der Vergangenheit zu distanzieren. Die Vergangenheit ist für ihn Blair. Doch wenn Brown von Fehlern im Zusammenhang mit dem Irakkrieg, der Gesundheitsreform und der Arroganz der Regierung spricht, dann spricht er auch von seinen eigenen Fehlern.

Zehn Jahre lang hat er immer wieder betont, dass er im Zentrum der Regierungsentscheidungen stehe. Als Mitläufer kann er sich nun nicht präsentieren. Der frühere Labour-Minister Frank Field fragte: „Welche neue Richtung kann es denn geben, wenn der Architekt der derzeitigen Politik lediglich eine Sprosse in der Karriereleiter nach oben geklettert ist? Zum Beispiel Irak: Brown hat die Invasion im Jahr 2003 mitgetragen, auch später kam kein kritisches Wort über seine Lippen. Jetzt sagt er, seit der Invasion in den Irak habe er gelernt, dass man mit brutaler militärischer Gewalt nur bis zu einem bestimmten Grad gegen Terroristen und religiöse Fanatiker Erfolg haben könne.

Brown versprach, dass er US-Präsident George Bush gegenüber mit seiner neuen Meinung nicht hinter dem Berg halten werde, aber der hat aufgrund seines Zwists mit dem von den Demokraten kontrollierten Kongress wenig Spielraum, auf Browns Wünsche Rücksicht zu nehmen. Und einen Alleingang, was die militärische Seite betrifft, kann sich Brown nicht erlauben. So wirkt sein Vorschlag, ökonomische Anreize zu schaffen, um die Versöhnung zwischen Schiiten und Sunniten zu fördern, eher hilflos. Und wenn er sagt, dass er dem Parlament die Macht zurückgeben werde, künftig Kriegsentscheidungen zu treffen, fragt man sich, wer dem Parlament diese Macht eigentlich genommen hat. Das Gleiche gilt für die Bürgerrechte. Man müsse sie aufrechterhalten, sagt Brown. Doch es waren Blair und Brown, die diese Bürgerrechte im Zuge der Terrorismusbekämpfung Stück für Stück abgebaut haben. Beide haben auch die Partei systematisch entmachtet. Deshalb laufen Labour die Mitglieder davon. Viele in der Labour-Partei sehen in Brown eher als das letzte Kapitel der Blair-Geschichte als eine neue Geschichte. Ein Exminister meinte: „Wir bekommen einen Premierminister, der kein Mandat von den Wählern hat, der nicht von der Partei gewählt worden ist und schon gar nicht nach langer öffentlicher Debatte sein Amt antreten wird.“

Reicht es gegen den Tory-Chef David Cameron, der daran arbeitet, wie Blair 1997 zu wirken?

Brown hat darüber hinaus ein Imageproblem. Er wirkt arroganter und abgehobener als Blair. Wenn Blair in seiner Amtszeit zu viel gegrinst hat, so hat Brown das bisher gar nicht getan. Am Freitag versuchte er es ein paarmal, aber es wollte ihm nicht recht gelingen. Während Blair theatralisch und emotional auftritt, ist Brown ernst und analytisch, was kein Nachteil ist. Aber er wirkt stets mürrisch.

Brown sagte am Freitag, die Politik in diesem Land müsse sich ändern – sie müsse weniger zentristisch und interventionistisch werden. Es ist nicht die Politik, die sich ändern muss, sondern Brown. Er ist ein Kontrollfanatiker, er ist nicht teamfähig. Lord Turnbull, der vier Jahre unter Brown als Staatssekretär gearbeitet hat, bescheinigte ihm „stalinistische Rücksichtslosigkeit“. Er habe eine „zynische Meinung von der Menschheit im Allgemeinen und von seinen Kollegen im Besonderen“, sagte Turnbull. Wenn Brown in seiner Regierung alle politischen Talente um sich schart, wie er ankündigte, wäre das tatsächlich neu.

Neu wäre auch die angekündigte Offenheit. Brown will zuhören. Diese Idee hatte Labour schon einmal. Vor den letzten Wahlen sollte es den „großen Dialog mit der Nation“ geben. Herausgekommen ist dabei nichts, es war eine Propagandaübung. Ebenso unglaubwürdig ist Browns Behauptung „Ich habe nie geglaubt, dass die Präsentation ein Ersatz für Politik ist“. Oh doch. Seine Spin Doctors, die Nachrichten einen regierungsfreundlichen Dreh geben, waren mindestens ebenso emsig wie die des Premierministers und haben das Vertrauen in Politiker untergraben. Brown dagegen ist überzeugt, dass Blair für das Vertrauensdefizit verantwortlich ist, und Blair stimmt ihm darin durchaus zu. Er rechnet damit, dass das Misstrauen gegen die Regierung mit seinem Rücktritt Ende Juni wie weggeblasen sein wird. Umfragen bestätigen das nicht: Weniger als ein Drittel hält Brown für vertrauenswürdig.

Browns Vorschlag, den Irak durch ökonomische Anreize zu befrieden, wirkt etwas hilflos

Was kann der künftige Premier konkret tun, um sich zu profilieren? Er kann das Oberhaus reformieren, die Erblords hinauswerfen und Wahlen verordnen. Er kann die Parteienfinanzierung transparent machen, um Skandale, bei denen Adelstitel gegen Parteispenden verhökert werden, zu verhindern. Er kann das Strafrechtssystem generalüberholen. Die britischen Gefängnisse sind voll. Kein Land in Europa sperrt so viele Kinder und Jugendliche ein wie Großbritannien – und psychisch Kranke, weil es nicht genug Therapieplätze gibt. Aber reichen diese Maßnahmen gegen den Tory-Chef David Cameron, der daran arbeitet, wie der Blair von 1997 zu wirken? Brown muss darauf hoffen, dass die Wähler seine Erfahrung honorieren und auf Kontinuität setzen. Als sie sich noch mochten, verglich Blair seine Beziehung zu Brown oft als Ehe. Seit den Napoleonischen Kriegen hatten kein Premierminister und sein Schatzkanzler eine solch lange und intensive Beziehung. Aber es ist mehr als das: Blair und Brown waren durch eine Nabelschnur verbunden, die Blair nicht kappen konnte, selbst wenn sie sich manchmal um seinen Hals wickelte, schrieb der Guardian. Das lag an dem Pakt von 1994. Wären damals beide angetreten und hätten sich dem Votum der Partei gestellt, hätte Blair ohnehin gewonnen – aber Brown hätte ihm nicht im Nacken gesessen. Doch Blair fühlte sich damals zu unsicher.

Brown hat sich nun in Zugzwang gebracht. Auf seine Rede nach dem Motto „Alles neu macht der Mai“ muss er Taten folgen lassen. Diese Rede werden die Wähler nicht vergessen, dafür wird schon die Opposition sorgen. Falls Brown lediglich in die Downing Street Nummer 10 einzieht, ohne die Pläne, die er sich vorgegeben hat, umzusetzen, wird er die nächsten Wahlen verlieren. Doch selbst wenn er sie umsetzt, verliert er die Wahlen womöglich auch. So war Blairs Rücktrittsankündigung wohl weniger der Beginn der Machtverlagerung von Blair auf Brown, sondern von Labour auf die Tories. RALF SOTSCHECK