Wachsende Skepsis

Der Selbstmordanschlag bringt den umstrittenen Bundeswehreinsatz erneut auf die Tagesordnung

AUS BERLIN KATHARINA KOUFEN

Eigentlich hatten alle gehofft, dass nun erst mal Ruhe sei. Die Abstimmung über den Einsatz deutscher Tornados in Afghanistan war im März zwar mit Rumoren, aber letzlich glimpflich über die Bühne gegangen: Eine satte Mehrheit billigte den Einsatz der Aufklärungsflugzeuge. Die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema sollte über den Sommer hinweg in den Ausschüssen stattfinden. SPD und Grüne haben sogar eigens eine Task Force gegründet. Sie wertet aus, was bisher geschah. Im Oktober dann sollten die Abgeordneten mit neuen Erkenntnissen in die nächste Abstimmung gehen. Diesmal steht die Verlängerung der Mandate in Afghanistan an. So weit der Plan.

Bis vergangenen Samstag ein Selbstmordattentäter auf dem Markt der nordafghanischen Stadt Kundus zuschlug. Er riss drei Bundeswehrsoldaten und sechs afghanische Zivilisten in den Tod. Fünf weiter Deutsche und 14 Afghanen wurden zum Teil schwer verletzt (siehe Text unten).

„Das wird den Streit über den gesamten Afghanistan-Einsatz neu entfachen“, sagte der SPD-Abgeordnete Hermann Scheer gestern der taz. „Die Stimmung bei der Abstimmung im März war schlecht. Nicht nur in der SPD, sondern im ganzen Bundestag.“ Das Ergebnis zeigte einen tiefen Riss quer durch fast alle Fraktionen. Vor allem in der SPD: Dort stimmten ein Drittel der Abgeordneten mit Nein. „Die SPD ist insgesamt sehr skeptisch, ob es eine militärische Lösung gibt“, sagt auch der Abgeordnete Florian Pronold – einer der Nein-Stimmer. „Aber wir sind nun mal bei dem Einsatz dabei.“

Einen Rückzug im Alleingang halten die meisten Sozialdemokraten für falsch. Stattdessen wollen sie die Bundesregierung auffordern, sich stärker auf internationaler Ebene für eine Änderung der Stategie einzusetzen. „Ich könnte mir vorstellen, dass die Außenminister so etwas hinter verschlossenen Türen aushandeln“, so Scheer. Der zivile Wiederaufbau müsse gestärkt werden.

Für die Entscheidung im Bundestag direkt dürfte der Anschlag keine Folgen haben, glaubt der SPD-Politiker und ehemalige Hamburger Bürgermeister Ortwin Runde. „Ich gehe nicht davon aus, dass dadurch die Zahl der Nein-Stimmen erhöht wird. Das Argument, der Einsatz sei für die Soldaten nicht sicher, kann ja kein Argument sein.“ Deutsche Opfer könne es bei allen Militäreinsätzen geben. Entscheidend sei vielmehr, ob es gelingen kann, den Einsatz der Schutztruppe ISAF im Norden von der kriegerischen Auseinandersetzung im Süden zu unterscheiden. Diese „Operation Enduring Freedom“ fordert immer wieder Tote bei der afghanischen Zivilbevölkerung. „Damit müssen wir argumentieren“, so Runde zur taz.

Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Rainer Arnold, kündigte an, dass die Afghanistan-Debatte in der Klausurtagung nach der Sommerpause „noch intensiver“ geführt werden soll. Im Übrigen bleibe er dabei, dass die Strategie der Bundeswehr richtig sei. „Man muss weiterhin den direkten Kontakt zur Bevölkerung suchen – so verstehen die Deutschen ihren Auftrag.“ Auch Arnold glaubt nicht, dass die Zahl der Nein-Stimmen wegen des Anschlags in die Höhe schnellen werde. „Jeder wusste, dass es auch im Norden Afghanistan gefährlich sein kann.“

Ohnehin glauben Beobachter, dass die vielen Nein-Stimmen in der SPD eher ein Zeichen allgemeinen Partei-Frusts waren: über die Zustimmung der Fraktion zur Rente mit 67, das frostige Verhältnis zu den Gewerkschaften, das schlechte Abschneiden in Meinungsumfragen.

Von den Grünen kann man nicht behaupten, dass die Debatte um Auslandseinsätze bisher vernachlässigt worden wäre. Auch sie waren bei der Abstimmung im März gespalten. Für den Verteidiungsexperten Winfried Nachtwei stellt sich nun aber „noch stärker“ die Frage nach „Sinn und Notwendigkeit“.