„Das Kino imitieren“

Jenseits von Filmfestivals bleiben aufregende Regisseure oft unbekannt im deutschen Kino. Die Reihe „debut - das critic.de premierenkino“ will das ändern. Ein Gespräch mit dem Initiator Frédéric Jaeger

FRÉDÉRIC JAEGER ist Chefredakteur und Mitbegründer des Online-Magazins critic.de. Er studiert Filmwissenschaft und Philosophie an der FU Berlin und hat drei Jahre an der Langzeitdokumentation über Schauspieler „Unbeleuchtet“ als Koautor und Kameramann mitgewirkt. 2004 wurde er als Mitglied in die deutsch-französische Berlinale-Jury „Dialogue en perspective“ berufen. Aktuell leitet er die Programmauswahl der Filmreihe „debut - das critic.de premierenkino“, die seit März einmal im Monat im Babylon Mitte einen Film vorstellt. „Tale of Cinema“ läuft dort am 6. Juni, 20 Uhr.

INTERVIEW DIETMAR KAMMERER

taz: Frédéric Jaeger, Sie leiten die Programmauswahl der Filmreihe „debut - das critic.de premierenkino“. Der erste Film kam aus Japan, der zweite aus Frankreich. „Tale of Cinema“ nun stammt von Hong Sang-soo, einem koreanischen Regisseur. Sind das momentan die interessantesten Filmländer?

Frédéric Jaeger: Wir haben keine Quotenregelung für das Weltfilmgeschehen. Wenn wir einen französischen Film auswählen, dann deshalb, weil er für ein französisches Kino steht, das in Deutschland nicht gezeigt wird. Genauso mit den anderen Filmen. „Tale of Cinema“ ist für Korea durchaus untypisch.

Es geht also um ein unbekanntes Kino?

Hong Sang-soo ist ein international gefeierter Regisseur, der in Deutschland weitgehend unsichtbar bleibt. Außer, in Ausnahmefällen, auf Filmfestivals wie der Berlinale. In der Regel aber haben solche Filme hierzulande keine Chance.

Woran könnte das liegen?

Es ist schwierig, dafür einen Schuldigen zu finden. Der Vergleich mit Ländern wie Frankreich macht aber deutlich, dass dort ein größeres Angebot an unterschiedlichen Filmen vorliegt. Da wurde über lange Zeit eine Filmkultur etabliert, schon in den Schulen, anstatt dass ein Publikum Filme nur in synchronisierter Fassung im Fernsehen zu sehen bekommt.

Man müsste also Angebot und Nachfrage guter Filme vergrößern?

Es ist ein Zwiespalt: Einerseits starten zu viele Filme, andererseits starten viele gute Filme trotzdem nicht. Es ist ja nicht so, als hätten wir zu wenig Auswahl. Wir haben nur keine gute Auswahl. Zu viele Filme starten im Grunde genommen nur als Werbung für ihre spätere DVD-Auswertung; die erhoffen sich nichts vom Kino.

Was macht Frankreich anders?

Gerade in den letzten Jahren wurde in Frankreich verstärkt in Filmbildung investiert. Das fängt schon in der Grundschule an. Lehrer werden eigens in Filmpädagogik fortgebildet. Die Schüler bekommen jedes Jahr ein bis drei Filme zu sehen, die sie besprechen sollen. Und zwar aus Filmsicht, und nicht, wie es bei uns üblich ist, im Deutschunterricht nur unter dem Aspekt der Literaturverfilmung oder als auflockerndes Element in Geschichte.

Könnte man das Modell hierher übertragen?

Dafür gibt es eine starke Lobby in Frankreich, ein Netzwerk von Cinephilen, die das in den Schulen vorantreiben. Solche Unterstützer sind wichtig, von allein wird es nicht geschehen.

Warum haben Sie die Reihe „debut“ genannt? Es sind ja keine Erstlingswerke …

… sondern Filme, die zum ersten Mal auf einer deutschen Leinwand laufen. Der Name „debut“ ist mit der Hoffnung verbunden, dass die Filme danach hier viele weitere Auftritte haben werden.

„Tale of Cinema“ erzählt eine Geschichte von der Verdopplung von Kunst und Leben. Das Kino liebt bekanntlich solche Konstruktionen. Aber gelten diese auch im echten Leben?

Wenn man cinephil ist und viele Filme sieht, bekommt man das Gefühl, dass man vielleicht mehr Erfahrung aus dem Kino zieht als aus dem eigenen Leben. Dass man tatsächlich im Leben das Kino imitiert. Man wird immer inspiriert von dem, was man erlebt, und Kino ist auch ein Erlebnis. Andererseits könnten Filme nicht gemacht werden, ohne auf Erlebtes zurückzugreifen.

Wo liegen für Sie die besonderen Qualitäten dieses Films?

Filme von Kim Ki-duk oder Park Chan-wook laufen in Deutschland relativ erfolgreich. Wenn man „Tale of Cinema“ mit diesen Beispielen des koreanischen Kinos vergleicht, dann fällt er aus allen Klischees heraus. Er setzt weder auf extrem meditative Komponenten noch auf exzessive Gewalt oder brutale Szenen. Er passt nicht in die üblichen Genres, er ist nicht so leicht zu kategorisieren. Ich würde ihn auch nicht als Arthouse-Film bezeichnen, dafür ist er zu intim.

In seinem leichten Ton und in der Präsentation seiner Figuren erinnert er einen an das französische Kino zum Beispiel eines Eric Rohmer.

Es ist schwer, da eine Linie zu ziehen. Ich will dem Regisseur keine Intention unterstellen. Aber es ist sicherlich kein Zufall, dass Hong Sang-soo gerade in Frankreich sehr erfolgreich ist, dass seine letzten drei Filme dort koproduziert wurden.

Stimmen Sie zu, dass der Film auf eine stille Weise auch humorvoll ist?

Mir fällt es extrem schwer, diesen Film sozusagen auf der ersten Ebene zu sehen. Man kann die Verstrickungen des Protagonisten nicht wirklich ernst nehmen, und auch seine Weise, einfach vor sich hin zu leben, ist durchaus lustig anzusehen. Aber es ist gewiss kein schallendes Gelächter, das ausgelöst wird.

Im Mittelpunkt steht ein Regisseur, der an sich selbst leidende Künstler. Man möchte ihn an den Schultern packen und durchschütteln.

Ja, der Protagonist bietet wenig Anlass zur Identifikation. Ich glaube schon, dass Hong Sang-soo sich über seinen eigenen Berufsstand völlig im Klaren ist.