Kommentar Mindestlohn: Wunderbarer Wahlkampfschlager

Es ist offen, ob es ein Scholz'sches Debakel geben wird. Klar ist: Die Mindestlöhne werden kommen, auch wenn das Entsendegesetz nicht gelten sollte.

Arbeitsminister Olaf Scholz schweigt. Wohlweislich. Der Kommentar des Ministeriums zum Mindestlohn-Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts fällt auch deshalb so dürftig aus, weil man dort sofort erkannt hat: Der Richterspruch könnte den Mindestlohn per Entsendegesetz kippen - und auch den Minister selbst beschädigen. Das einfache Argument der Richter hat es in sich: Ein Tarifvertrag darf in einer Branche nicht per Verordnung auf Firmen übertragen werden, die mit eigenen Verträgen tariflich gebunden sind. Genau das ist aber Kern des Entsendegesetzes, mit dessen Neuauflage Scholz sein Lieblingsprojekt vorantreibt.

Bestätigen Ober- und Bundesverwaltungsgericht diese Sicht, hat Scholz, ehemals Fachanwalt für Arbeitsrecht, handwerklich gepatzt. Wo bereits Mindestlöhne gelten, etwa bei Putzfrauen, Bauarbeitern oder eben Briefträgern, wären sie hinfällig. Und der Minister müsste sich vorhalten lassen, das Gesetz gegen die erwartbaren Sabotageversuche von Union und Wirtschaft nicht ausreichend abgesichert zu haben. Doch noch ist völlig offen, ob es zu diesem Scholzschen Debakel kommt.

Eines aber ist schon jetzt klar: Mindestlöhne werden trotz des juristische Geplänkels kommen. In der Bevölkerung ist die Zustimmung für Regeln, die Dumping-Gehälter verbieten, groß. Und das Entsendegesetz, welches eigentlich Arbeitsbedingungen für ausländische Firmen festschreiben soll, ist letztlich das am wenigsten geeignete Instrument, um Mindestlöhne durchzusetzen. Zu wenige Branchen erfüllen die komplizierten Bedingungen, zu zahlreich sind Fußangeln, die Lobbyisten im Nachhinein anfechten können.

Allein, der SPD-Arbeitsminister kann sein Anliegen auch mit anderen Mitteln weiter verfechten: Schon bald wird er genüsslich das sogenannte Mindestarbeitsbedingungengesetz ins Spiel bringen. Hinter diesem Wortungetüm verbirgt sich die Möglichkeit, Mindestlöhne in nicht tarifgebundenen Branchen durchzusetzen. Die Union blockiert das Gesetzgebungsverfahren, wo sie nur kann - und liefert somit ein wunderbares Thema für den Wahlkampf 2009. Der Dauerbrenner Mindestlohn bleibt also allen erhalten - bis er irgendwann in einem eigenen Gesetz geregelt wird. ULRICH SCHULTE

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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