Ein Europäischer Haftbefehl für Berlusconi?

Lange Zeit versuchte Italiens Ministerpräsident einen Beschluss über die Einführung eines EU-weiten Haftbefehls zu verhindern. Denn die spanische Justiz ermittelte gegen ihn wegen Betrugs. Jetzt schützt ihn nur noch sein Amt

ROM taz ■ Eigentlich war der Ausfall Silvio Berlusconis vor dem Europäischen Parlament vorherzusehen. Schließlich hatte der Abgeordnete Martin Schulz in seiner kurzen Rede mit Begriffen hantiert, die auf den italienischen Regierungschef wie ein rotes Tuch wirken: Europäischer Staatsanwalt, Europäischer Haftbefehl, zwischenstaatliche Rechtshilfe, Beschlagnahme illegalen Kapitals. Und dann hatte der SPD-Mann auch noch gefragt, was Berlusconi wohl zu tun gedenkt, um auf diesen Feldern Fortschritte zu erreichen.

Die Antwort lautet kurz und bündig: möglichst gar nichts. Als im Dezember 2001 der Europäische Haftbefehl in der Runde der EU-Justizminister verhandelt wurde, waren sich 14 Länder einig; nur Italiens Minister legte sein Veto ein. „Zu lang“ sei die Liste von 32 unter den Euro-Haftbefehl fallenden Straftaten. Herausfallen sollten sämtliche Wirtschaftsdelikte wie Geldwäsche, Korruption, Betrug.

Italien lenkte ein, als klar wurde, dass die anderen EU-Staaten gewillt waren, ohne Rom den Europäischen Haftbefehl zu verabschieden. Doch Berlusconi gab zu Protokoll, dass Rom erst seine Rechtsordnung mit der anderer EU-Staaten „harmonisieren“ müsse – und verschaffte sich so eine Atempause.

Die hat er auch nötig. Berlusconi erklärte den anderen EU-Chefs, dass ihm die Freiheit vor allem eines Bürgers am Herzen liegt: die eigene. Verfolgt werde er nicht nur von der italienischen Justiz, sondern auch von dem spanischen Richter Baltasar Garzón. Garzón ist Berlusconi, dessen Bruder Paolo, seinem Intimus Marcello Dell’Utri und 20 weiteren Berlusconi-Managern schon seit Jahren auf den Fersen; Die Vorwürfe sind Steuerhinterziehung, Bilanzfälschung, Betrug und Umgehung der Konzentrationsvorschriften für den spanischen TV-Markt.

In den Jahren 1989–1997 soll Berlusconi über Strohmänner nicht nur seine Beteiligung am spanischen Sender Telecinco über die ihm damals erlaubten 25 Prozent hinaus auf 80 Prozent gesteigert haben. Außerdem soll er seine beherrschende Position genutzt haben, um mittels überteuerter Rechte-Deals zwischen Telecinco und anderen Unternehmen des eigenen Imperiums gut 120 Millionen Euro an der spanischen Steuer vorbei in seine Kassen zu leiten.

Garzón hat seine Ermittlungen zwar weitgehend abgeschlossen, doch erst war es Berlusconis Immunität als EP-Abgeordneter, und jetzt ist es sein Amt als Regierungschef, das ihn vor einem Prozess bewahrt. Aber auch ohne diesen Schutz durch ein Amt wäre die spanische Justiz wohl kaum erfolgreich gewesen. Denn vor einem Prozess in Spanien würde es in Italien zu langen Prüfungen kommen, ob ein solcher gegen einen italienischen Staatsbürger überhaupt möglich ist. Eine solche Prüfung sieht der Europäische Haftbefehl jedoch nicht vor: Berlusconi müsste sich vor Spaniens Justiz verantworten.

MICHAEL BRAUN