Das Bretterdorf für die Weltstadt

Architekturstudenten haben am Ernst-Reuter-Platz Berlins ersten Slum errichtet. Denn der aktuelle Bildungsabbau stehe in einem globalen Zusammenhang, sagen die Initiatoren. Ihre Hütten sehen sie als Plattform für Eigeninitative

Was macht eine Ansammlung sesshafter Menschen zu einer echten Metropole? Kulturelle Vielfalt oder herausragende Ideen? Die Diskussion um Berlins kosmopolitischen Status kennt nur eine Antwort: Berliner muss verarmen, Berlin fehlen richtige Slums. Erst dann kann sich die Hauptstadt in die Riege echter Weltstädte wie São Paulo, Kingston oder Kapstadt einreihen.

Das meinen zumindest Architekturstudenten der Technischen Universität. Sie haben mit dem Bau des ersten Berliner Slum bereits begonnen. Vor der Architekturfakultät der TU am Ernst-Reuter-Platz stehen seit Mitte November mehrere aus Holzpaletten, Wellblechen oder Planen zusammengezimmerte Gebäude. Das Bretterdorf ist seither kontinuierlich gewachsen. Unter einem Banner mit der Aufschrift „Unsere Fakultät verslumt“ stehen mittlerweile über zwanzig Hütten.

„Wir saßen und fragten uns, wie man den Unistreik inhaltlich füllt“, erzählen die Ideengeber Stefan Endewardt, Robert Burghardt und Stephan Becker. „Das Problem Bildungsabbau greift tiefer, als es momentan diskutiert wird, die Kürzungen stehen in einem globalen Zusammenhang“, meint der 24-jährige Burghardt. Die aktuell um sich greifenden Sparmaßnahmen auf Landes- und Bundesebene gehorchen für ihn einer „größeren Logik“, die sich immer nur um Effizienz und Funktionalität dreht, „um den Standort Deutschland, den man international wettbewerbsfähig machen müsste“. Ein solcher Sachzwang zum Sparen bedeute für die universitäre Architektur, dass man zunehmend auf den ganzheitlichen und künstlerischen Anspruch des Faches verzichte und die Ausbildung nur noch auf Praxistauglichkeit und Wirtschaftlichkeit ausrichte. „Dabei geht es nicht darum, wie ich möglichst schnell einen Gebäudeblock baue“, findet Stephan Becker, sondern um „Architektur für Menschen“.

Die Verslumung ist so ein architektonischer Entwurf, sie ist als „Plattform für Selbstbau und Eigeninitiative“, als „öffentlicher Ort der politischen Diskussion“ gemeint. Unter dem Motto „informelle Universität“ finden in den Hütten Diskussionsrunden über die zukünftige Studienordnung der Architektur statt, ebenso aus den besetzten Gebäuden ausgelagerte Vorlesungen. Es gibt eine Bühne für Theateraufführungen und Konzerte, ein symbolisches Exmatrikulationsbüro und eine Teeküche. Längst halten auch andere Fachbereiche wie die Mathematik Veranstaltungen im Slum ab.

„Es geht um die interdisziplinäre Zusammenarbeit Studierender für eine öffentliche, frei zugängliche Universität“, erklärt Endewardt. Die Verslumung „soll keine platte Eins-zu-eins-Übersetzung sein, die zeigt, wie es bei einer solchen Politik in Zukunft aussieht, das wäre zynisch“. Endewardt kennt echte Slums, er hat ein Jahr in Simbabwe gelebt. „Es ist eher eine soziale Skulptur im Sinne von Beuys.“ Ein organisches, lebendiges Projekt, das von einer „dezentralen, vernetzten“ Studentenschaft geschaffen wurde, um eine öffentliche Diskussion in Gang zu bringen.

Robert Burghardt sind die Begriffe „Emanzipation“ und „Partizipation“ wichtig: „Es wird uns vorgemacht, wir könnten nichts mehr an den gesellschaftlichen Verhältnissen ändern. Visionen, Ideen zu formulieren, darum geht es überhaupt nicht mehr. Dabei kann man immer Geschichte machen.“

Die Aktion soll auf andere öffentliche Plätze ausgeweitet werden. Vor dem Hauptgebäude der HU steht inzwischen ein zweiter, kleinerer Slum. Weitere sollen folgen. „Schließlich haften Studenten für ihre Politiker“, steht auf einem Plakat. JONAS ZIPF