berliner szenen Goodbye Schalter

Da muss was rein

Der Osten schrumpft, die Platte wird rückgebaut – aber was passiert bloß mit den Millionen von Lichtschalterabdeckungen in den verlassenen Wohnungen?

Immerhin 2.000 von ihnen wurden gerade zu Kunst recycelt. Je zwei der vergilbten Plaste-Blenden, Rückseite an Rückseite zusammengeschraubt, ergeben einen Bilderahmen. Denn jeder fantasiebegabte Mensch weiß: Wo sonst der Schalter sitzt, kann man auch durchgucken. Cornelius Mangold, Erfinder des Plattenbau-Quartettspiels, kam auf die Idee. Gemeinsam mit der Designerin Leila El-Kayem hat er die aufgegebenen Platten von Halle-Neustadt ausgeschlachtet.

Auf der Verkaufsmesse „Berlin Design“ in der Backfabrik präsentiert Cornelius Mangold nun eine ganze Vitrine mit seinen Exponaten. Gegen die im Hintergrund dröhnende House-Musik anschreiend, erläutert er sein Rahmenkonzept: „Ziel war ein Souvenir, das seriell herstellbar sein sollte.“ Die 25 x 25 mm fassenden Rahmen bespielt er selbst – mit DDR-Tapetenresten, die er in den leeren Wohnungen von den Wänden gespachtelt hat: „Da musste was rein, was vorhanden war.“ Durch einen Fetzen alter Tapete lebt eine Welt auf, in der geliebt, gehofft, gestritten und Fernsehen geguckt wurde.

Für 12 Euro 50 blickt die erste vorbeikommende Käuferin lieber ins eigene Leben: „Nee, bei mir kommt da auf jeden Fall ’n Foto rein.“ Sogar den Erfinder der alten Schalter aus dem VEB Sonneberg Oberlind hat Cornelius Mangold kontaktiert: „Der hatte aber keinen Sinn für die heutigen ökonomischen Zwänge und wunderte sich nur, warum ich als ausgebildeter Architekt keine Häuser, sondern Souvenirs baue.“ In diesem Sinne gewähren die Ostschalterblenden für Mangold auch einen Blick aufs eigene Leben. JAN-HENDRIK WULF